Buchempfehlung: Buch der Erinnerungen und Empfindungen, hrsg. von Mateusz Hartwich und Marek Szajda

Deutsche und polnische Geschichten aus der Schulzeit in Hirschberg/Jelenia Góra 1937-1952

Deutsch und polnische Zeitzeugen initiieren einen Austausch, der in eine Veröffentlichung mündet.

Der 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs war Anlass für viele Diskussionen. Häufig kamen dabei Zeitzeugen der Ereignisse von 1945 zu Wort, viele hatten vermutlich zum letzten Mal dazu Gelegenheit, beim nächsten runden Jahrestag werden sie fehlen. Umso wichtiger ist, dass sie gehört werden, denn ihre Perspektive ist eine andere als die von Büchern und Museen, und sie bereichert unser Wissen. Die Zeitzeugen zu Wort kommen zu lassen, ihre individuelle Sicht auf historische Ereignisse wie Krieg, Diktatur, Verfolgung und Vertreibung zu erfahren, stand auch im Mittelpunkt eines deutsch-polnischen Projekts, das die Gestalt einer Publikation annahm. Im „Buch der Erinnerungen und Empfindungen“, so der deutsche Titel als Zitat aus einem Zeitzeugenbericht, wurden persönliche Aufzeichnungen von Deutschen und Polen veröffentlicht, die eines verbindet: der Ort ihrer Kindheit, Hirschberg/ Jelenia Góra im heute polnischen Niederschlesien.

Das Vorhaben nahm seinen Anfang als der (polnische) Freundeskreis der Absolventen des Zeromski-Gymnasiums in Hirschberg in Kontakt trat mit ehemaligen deutschen Schülern der Riesengebirgsstadt, die bis 1945 die dortigen Oberschulen besucht haben. Es entwickelte sich ein reger Austausch, einschließlich gemeinsamer Treffen, und die Idee einer gemeinsamen Publikation. Allein die Tatsache, dass sich diese Initiative „von unten“, jenseits der großen (Geschichts-)politik entwickelte, verdient Anerkennung. Dass das Vorhaben trotz vieler Widrigkeiten, inklusive des Ablebens eines der Initiatoren Slawomir Podolak, zu Ende geführt werden konnte, ist ein weiterer Glücksfall. Die Veröffentlichung wurde betreut und wissenschaftlich begleitet von Marek Szajda aus Breslau/ Wrocław und Dr. Mateusz Hartwich aus Berlin. Die Bücher erschienen 2018 in polnischer und 2019 in deutscher Sprache, jeweils im Ad-Rem-Verlag in Hirschberg/ Jelenia Góra.

Was diese Publikation so besonders macht ist, dass in den Erinnerungen die große Geschichte und die historischen Umbrüche in der Perspektive von „Teenagern“ gezeigt werden. Wie war es, als Sechzehnjähriger zum Volkssturm verpflichtet und als Flakhelfer eingesetzt zu werden? Wie sah der Schulweg eines normalen Schülers und wie der Unterricht in den späten 1930-er Jahren aus? Was empfanden die jungen Menschen, als sie aus dem zerstörten Warschau ins paradiesisch anmutende, vollkommen intakte Hirschberg kamen? Das Buch ist im wahrsten Sinne des Wortes eines von Erinnerungen und Empfindungen, weil nicht nur die Geschehnisse dokumentiert, sondern die eigene Wahrnehmung des Erfahrenen reflektiert werden. Das Ergebnis hat die Chance, auch jenseits der Jahrestage einen wichtigen Beitrag zu deutsch-polnischen Geschichtsdiskussion zu leisten.

Das deutschsprachige Buch ist im Laden des Schlesischen Museums (Brüderstraße 8 in Görlitz) für 9 Euro erhältlich sowie unter kontakt@schlesisches-museum.de zu bestellen (zzgl. Versandkosten).

Text: Dr. Mateusz J. Hartwich
Bild: Buchumschlag