110 Jahre gutes Kino in Breslau/ Wrocław

Im September 1910 begann die Kinogeschichte in Breslau

Das Niederschlesische Filmzentrum (DCF) in Wrocław knüpft an die Vorkriegstraditionen an.

Im September 2020 feiert das Niederschlesische Filmzentrum in Breslau/ Wrocław – das DCF (Dolnośląskie Centrum Filmowe) – seinen 110. Geburtstag. Wie ist das möglich? Exakt am 3. September 1910 fand im damaligen Lichtspiel-Theater „Palast-Theater“, das an der Stelle des heutigen Filmzentrums stand, die erste Filmvorführung statt. Genauer gesagt: Filmvorführungen. Das damalige Kinoprogramm bestand aus mehreren Kurzfilmen und wurde von dem vielfältigen „Kulturprogramm“ ergänzt. Bis zum Jahr 1911 ging man nicht zu einem bestimmten Film (es gab einige davon), sondern einfach ins Kino – man konnte jederzeit ein- oder ausgehen, etwas essen, Bier trinken oder sogar eine Zigarre rauchen!

Am Samstag, den 3. September 1910, um 17 Uhr wurde unter anderem ein Film über Friedrich den Großen gezeigt. Die Vorführung wurde von einem fünfköpfigen renommierten Pariser Männerorchester begleitet. Wie wir aus der Ankündigung in der Schlesischen Zeitung erfahren, wartete auf die Zuschauer eine zusätzliche Attraktion: um 16, 17 und 18 Uhr wurden die Zuschauer vor dem Eingang zum Lichtspiel-Theater gefilmt und hatten Gelegenheit im nächsten Programm „sein naturgetreues lebendes Bild“ zu sehen. Das „Palast-Theater“ musste sehr beliebt sein, denn im Februar 1914 wurde der millionste Zuschauer angekündigt. Wenn man diesen Zeitabschnitt in Monate und Tage unterteilt, kann man davon ausgehen, dass ca. 700-800 Zuschauer täglich das Lichtspiel-Theater besuchten! Das Ergebnis macht sogar den heutigen Direktor neidisch (die tägliche Zahl der Besucher kann man jetzt auf 500-600 Personen schätzen). Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass damals nicht nur das Kino eine Anziehungskraft auf die Besucher ausübte. Das 1898 von Georg Schneider entworfene Gebäude beherbergte ein elegantes „Palast-Restaurant“, das über einen großen Biergarten verfügte. Und die Festsäle im Obergeschoss wurden im Laufe der Zeit ins Kino umgewandelt. Der größere Saal konnte ca. 400, die kleinere ca. 130 Zuschauer aufnehmen. Im Jahre 1925 wurde aus diesen zwei ein größerer Saal für 650 Zuschauer gemacht. Und in dieser Form funktionierte das Kino fast bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.

Das wichtigste Ereignis in der Geschichte des „Palast-Theaters“ war die Premiere des dänischen Stummfilms „Abgründe“. Diese Premiere bedeutete eine neue Etappe in der Kinematographie. Seit Ende 1910 wurden die Filme auf mindestens zwei Akte (zwei Filmrollen) erweitert. Es wurde ein Filmmonopol eingeführt – keines der konkurrierenden Kinos konnte einen bestimmten Film in derselben Woche zeigen. Und drittens – man begann auf konkrete Filme zu setzen und sie durch bestimmte Stars zu fördern. Die Anwesenheit der Schauspieler sollte ein Magnet für die Zuschauer sein. Und ab diesem Moment kann man sagen, dass man „zum konkreten Film“ und nicht nur „ins Kino“ geht. Dies ist auch heute noch der Fall.

Der 38minutige Film „Abgründe“ mit Asta Nielsen in der Hauptrolle erfreute sich in Breslau so einer Beliebtheit, dass er im Dezember 1910 und Januar 1911 vierzig Mal wiederholt wurde. Er verursachte die Nachfrage nach mehr Spielfilmen, die ab diesem Moment immer öfters auf den Kinoleinwänden erschienen. 1922 wurde das „Palast-Theater“ von dem hiesigen Theaterfilmkonzern Schauburg AG übernommen. Der Konzern eröffnete bald das größte und modernste Luxus-Lichtspiel-Theater Breslaus „Capitol“ (heute Musiktheater „Capitol“), das endgültig dem „Palast-Theater“ den ersten Rang wegnahm. Aber das Theater überstand den Krieg und wurde am 16. Juni 1945 als Kino „Warszawa“ (Warschau) eröffnet. Erst 1963 musste das Gebäude wegen schlechten technischen Zustandes abgetragen werden. Das 1973 neu gebaute Kino funktionierte bis 2010. Das heutige Niederschlesische Filmzentrum, das seine Pforten im September 2011 eröffnete, setzt Traditionen der zwei Vorgänger fort und kann sich deshalb mit dem Slogan „110 Jahre des guten Kinos in der Stadt“ rühmen.

Text und Fotos: Małgorzata Urlich-Kornacka