Emotionaler Besuch in Kreidelwitz/ Krzydłowice

Ein Bericht von Gerd-Dieter Kosmehl

Deutsch-polnische Begegnung und gemeinsame Erinnerung an doppelte Vertreibung 1945: aus Ostpolen und aus Schlesien.

Als 75-jährhiger denkt man schon einmal über sein Leben nach, auch insbesondere über den turbulenten Beginn im Schlesischen im Dezember 1944 auf einem Bauernhof, der von der Familie schon vor 1800 bewirtschaftet wurde und der nach dem frühen Tod meines Großvaters sein jüngster Sohn geerbt hatte. Hier bin ich geboren, sechs Wochen vor der Flucht, im Kreis Glogau in Kreidelwitz, damals von den Nazis in Lindenbach umbenannt.

Gemeinsam mit dem Glogauer Regionalhistoriker Antoni Bok wurde unsere gemeinsame Idee, über die Flucht- und Vertreibungsgeschichte der Schlesier und der Ostpolen am Beispiel unserer Familien zu berichten, im September 2020 umgesetzt.

In selbstgefertigten Filmen zeigte ich meine Familiengeschichte, und Renata Przybylska, die Enkelin der polnischen Familie Cirko, die aus der Ukraine vertrieben wurde und im Frühjahr 1946 auf unseren Hof kam, erzählte die ihre. Heute lebt hier Anna Kiczak, eine nahe Verwandte der Familie Cirko, die wir natürlich am ersten Tag unserer Reise aus Ludwigsfelde (Brandenburg) gleich aufgesucht haben, mit ihrem 17- jährigem Enkel. Die beiden Kinder arbeiten im Ausland. Ihr Mann, mit denen meine Eltern einen herzlichen Kontakt pflegten, ist verstorben.

Meinen Film hatte ich ja vor allem meinen Eltern Erich und Ruth Kosmehl, geborene Krippaly, gewidmet, die beide in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wären. Meine Mutter war der jüngste Spross der Bauernfamilie und noch bis zur Flucht am 27. Januar auf dem Hof. Meinen Vater, der in Queissen in der Mühle von Fritz Kastner Müller gelernt hatte und dann nach dem Arbeitsdienst zur Wehrmacht einberufen wurde, habe ich erst als Vierjähriger nach seiner Entlassung aus russischer Gefangenschaft in einer Nowosibirsker Ziegelei 1948 kennenlernen können.

Zu der von den Vertretern der Gemeinde mit viel Liebe vorbereiteten Veranstaltung am 10. September in Krzydłowice (Kreidelwitz) waren viele Dorfbewohner gekommen, auch die beiden Söhne der vertriebenen ostpolnischen Familie, Zbigniew und Bolesław Cirko waren dabei, wie auch der Bürgermeister von der Großgemeinde Grębocice (Gramschütz) und viele Gemeindevertreter. Auch Herr Kinzel vom Glogauer Heimatbund hat es sich nicht nehmen lassen, an der Veranstaltung teilzunehmen, zumal er in Krzydłowice auch Verwandte hatte.

Am Nachmittag hatte ich Gelegenheit, die Bibliothek, den Galeriespeicher und die gesicherte Schlossruine mit dem angrenzenden Freizeitpark, die Kirche und den großen Schulkomplex von Gramschütz gemeinsam mit Vertretern der Gemeinde zu besichtigen. Als ehemaliger Pädagoge hat mich die Schulführung besonders beeindruckt. Hier haben Landschüler beste Bedingungen für Lernen und Freizeit. Etwas, was ich in meiner Kindheit vermisste und wofür ich später als Schulleiter einer großen Landschule auch alles daran gesetzt habe, für Dorfkinder beste Bedingungen zu schaffen.

Am folgenden Tag haben wir zusammen mit meiner Frau meinen Geburtsort noch einmal in aller Ruhe mit dem Fahrrad erkundet. Nach dem von Emil Seiffert, dem Bäckerssohn von Kreidelwitz, gemachten Aufzeichnungen 1985 über den Ort haben wir Gebäude unserer Großfamilie ausfindig gemacht und natürlich den Friedhof besucht, wo mein Großvater seit 1938 begraben ist.

Es war dabei erfreut festzustellen, dass im Ort seit 2000, wo wir das letzte Mal dort waren, viel geschehen ist. Straßen wurden erneuert, das neue Gemeindezentrum, der Kinderspielplatz mit dem großen Bolzplatz sind im Zentrum des Dorfes entstanden, viele Bauernhäuser wurden saniert. Wünschenswert wäre, wenn auch die Schlossruine, die dem Verfall preisgegeben ist, wie in Gramschütz gesichert wird und damit als Mahnung für die Nachwelt erhalten bleibt.

Es war gut, diese Reise gemacht zu haben und in der intensiven Beschäftigung mit den familiären Wurzeln das Erlebte in Erinnerung zu rufen, was man als Kleinkind nicht wahrgenommen hat. Wenn wir das mit diesem Treffen vertiefen konnten, einschließlich des Verständnisses für die schlimmen Ereignisse in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, dann habe ich zusammen mit Herrn Bok unser Ziel erreicht.

Text & Fotos: Gerd- Dieter Kosmehl
Ludwigsfelde im September 2020