Stolpersteine in Wrocław (Breslau)

Die Gedenksteine für Opfer des Nationalsozialismus sind in Polen noch nicht sehr verbreitet

Die Stiftung OP ENHEIM organisierte dazu Ende 2020 zwei Informationsveranstaltungen.

Die Stolpersteine sind in Deutschland sehr bekannt und verbreitet. Die kleinen Denkmäler für Opfer des Nationalsozialismus sind vor dem Haus, das ihr letzter Wohnsitz war, in den Bürgersteig eingelassen. Die 10 mal 10 cm großen Betonwürfel sind mit einer Messingplatte abgedeckt, auf der der Name, Vorname, das Geburts- und Sterbedatum sowie der jeweilige Ort eingraviert sind.

Diese einfache Idee ruft große Emotionen wohl bei jedem hervor, der einem solchen Stein zufällig begegnet, stehen bleibt und sich über das Schicksal einer bestimmten Person, manchmal sogar einer ganzen Familie, beugt. Das ist die Stärke des Projekts: Jeder Stein steht für eine konkrete Person, die in dem Haus, vor dem man steht, gelebt hat, bis sie in den Tod geschickt wurde.

Stolpersteine in Breslau.

Ein kontroverses Projekt

Während die Initiative in Polen noch nicht weit verbreitet ist, gibt es bereits mehr als 75.000 Stolpersteine in vielen europäischen Ländern. Das Konzept des Gedenkens an die Opfer des NS-Regimes, also nicht nur an Juden, sondern auch an Homosexuelle, Roma, Sinti und andere unterdrückte Gruppen, wurde von dem deutschen Künstler Gunter Demnig in den 1990er Jahren entwickelt. Das dezentrale, “verstreute Denkmal” wirkt, weil es das Gedenken an gewöhnliche Menschen ermöglicht, die wahrscheinlich nie mit einem traditionellen Denkmal bedacht worden wären. Es sensibilisiert die Betrachter für tragische Ereignisse, die nur wenige Jahrzehnte zurückliegen. Und alles deutet darauf hin, dass mit der aktuellen Zunahme von Intoleranz und nationalistischen Tendenzen auch die Bedeutung der Stolpersteine wächst.

Diese ungewöhnliche Form des Gedenkens war selbst in Deutschland am Anfang umstritten. Die Verlegung der Steine wurde nicht nur von Vertretern der Rechtsextremen abgelehnt, sondern auch von den Eigentümern der Häuser, vor denen die Steine verlegt werden sollten, aus Angst vor einer Wertminderung ihres Eigentums. In mehreren Städten, darunter auch München, haben sich sogar die örtlichen jüdischen Gemeinden dagegen ausgesprochen und argumentiert, dass die Stolpersteine die Erinnerung an die Opfer des Holocausts verletzen. Der Grund dafür ist, dass sie im Pflaster eingelassen sind, man kann also (versehentlich) drüber treten. Auch eine Verschmutzung durch Menschen und Tiere ist deswegen möglich.

Komplizierte Prozedur

Wrocław war die erste polnische Stadt, die Stolpersteine verlegt hatte. Hier befinden sich auch die meisten Stolpersteine in Polen – dreizehn an der Zahl. Das erste wurde Edith Stein gewidmet (2008 in der Nowowiejska Straße). Im Jahr 2016 kamen auf Initiative der Mitglieder der Familien Zorek (Jedności Narodowej Str. 95) und Treitel (Świdnicka Str. 39) Steine hinzu, im Jahr 2019 sechs weitere an der Kreuzung der Zielińskiego und Swobodna Straße.

Das Wohlwollen der Stadtverwaltung und die Unterstützung, die die Familienmitglieder von Maciej Skroban aus dem Breslauer Rathaus erhielten, halfen ihnen, die verwaltungstechnischen Hürden zu überwinden, da es für diese Art von Eingriffen in die Gehwegoberfläche kein Verfahren gibt. Leider müssen weitere Initiatoren damit rechnen, dass sie eine mindestens mehrmonatige behördliche Prozedur durchlaufen müssen, um entsprechende Genehmigungen einzuholen.

Das Verlegen der Gedenksteine ist ein mehr oder weniger komplizierter Prozess, abhängig von der Vorgehensweise der Gemeinde. In Warschau und Krakau gibt es immer noch keine Stolpersteine, während in anderen Städten, z.B. in Biała Podlaska, die Errichtung praktisch ohne Komplikationen verlief. Besonders angespannt war die Situation in Krakau, wo der fast abgeschlossene Genehmigungsprozess von der Stadtverwaltung auf der Grundlage einer Stellungnahme des Instituts für Nationales Gedenken gestoppt wurde. Demnigs Projekt wurde als Verstoß gegen die akzeptierte Erinnerungskultur in Polen und als Beleidigung der Würde der Opfer angesehen.

Zeit für die Oppenheimer Mietshausbewohner

Im November 2020 fand eine von der Stiftung OP ENHEIM organisierte Online-Debatte mit dem Titel “Stolpersteine in Polen – wer gedenkt wessen und für wen?” statt. Die Teilnehmer der Diskussion reflektierten gemeinsam über die Wahrnehmung dieses Projekts in der polnischen Gesellschaft. Die Schwierigkeiten fangen schon bei der Bezeichnung der kleinen Würfel an, denn diese lässt sich nicht einfach ins Polnische übersetzen. Es funktionieren mindestens zwei Namen: “Stein des Gedenkens = kamień pamięci” und “Stolperstein = potykacz”. Während die erste Bezeichnung die Aufmerksamkeit auf die Schlüsselrolle der Bewahrung oder Wiederherstellung der Erinnerung an die Opfer lenkt, vermittelt die zweite besser den performativen Aspekt, der darin besteht, einen zufälligen Passanten aus seiner Komfortzone herauszuführen.

Der Vorwand für die Diskussion war die geplante Verlegung der Stolpersteine mit den Namen jüdischer Bewohner des Oppenheim-Mietshauses am Salzplatz (Plac Solny) in Wrocław, dem heutigen Sitz von OP ENHEIM, und der Anstoß für diese Initiative war die Vertiefung der Zusammenarbeit mit der Deutsch-Polnischen Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz.

Bei der Buchvorstellung im Salon Herz, Foto: Jerzy Wypych.

Die Geschichte des Mietshauses und seiner Vorkriegsbewohner wurde bereits erforscht. Das Ergebnis ist das 2018 erschienene Buch von Lisa Höhenleitner Das Oppenheim-Haus. Ein Bürgerhaus erzählt Breslauer Geschichte. Die meisten Informationen wurden über die Familie Herz gesammelt, die in dem Mietshaus ein berühmtes Schuhgeschäft betrieb. Ihnen wird das im Jahr 2021 geplante Projekt der Stolpersteinverlegung, gefördert von Stowarzyszenie Żydowski Instytut Historyczny (Jüdisches Historisches Institut), gewidmet sein.

Das Wissen über die Familie Elsner und andere Bewohner des Mietshauses wird ständig erweitert, u. a. durch die Kontaktaufnahme mit Arolsen Archives, dem Internationalen Zentrum für NS-Verfolgung und dem größten Archiv mit Dokumenten über Opfer und Überlebende. Ein wichtiges Element der geplanten Verlegung der Stolpersteine ist die öffentlich geführte Diskussion und die Bildung, wie die bereits erwähnte Debatte und das dem Arolsen Archiv gewidmete Webinar für Menschen, die sich in ihren künstlerischen Projekten mit dem Thema Identität und Erinnerung auseinandersetzen.

Text: Karolina Jara, OP ENHEIM

Erstabdruck in Wrocławski Niezbędnik Kulturalny (12.2020/01.2021) in polnischer und englischer Sprache:

Redigierte Übersetzung: Agnieszka Bormann

Das Portal des Oppenheim-Hauses.