Filip Springer und Lisa Palmes ausgezeichnet mit dem I. Riesengebirgspreis für Literatur

Liebeserklärung an Hirschberger Tal und Warnung vor Naturkatastrophe

Filip Springer adressiert seine Dankesrede an junge Menschen.

Am 1. Dezember 2019 wurde der I. Riesengebirgspreis für Literatur an den polnischen Autor, Journalisten und Fotografen Filip Springer verliehen. Ein Sonderpreis ging an die Übersetzerin Lisa Palmes, die das Buch „Kupferberg. Eine verschwundene Stadt“ ins Deutsche übertragen hat. Über den Preis, die Preisträger und die Veranstaltung haben wir bereits am 21.11.2019 informiert.

In Anwesenheit der deutschen und polnischen Vertreter aus Kultur und Politik warnte der Preisträger in seiner insbesondere an die junge Generation gerichteten Dankesrede vor ökologischer Katastrophe und beschwört eine neue Gemeinschaft, die ihr entgegenwirken kann. Hier der Text der ganzen Rede von Filip Springer:

Verehrte Damen und Herren,

anlässlich meiner Auszeichnung mit dem I. Riesengebirgspreis für Literatur wurde ich gebeten, ein paar Worte insbesondere an die jungen Menschen im Publikum zu richten. Das ist keine einfache Aufgabe. Denn erstens impliziert die Aufforderung die Tatsache, dass man selber nicht mehr zu der Gruppe der jungen Menschen gehört. Wobei ich immer noch die Hoffnung hege, das Gegenteil sei der Fall. Und zweitens bedeutet eine Ansprache an die jungen Menschen heute, dass man schwierige, schmerzhafte, traurig machende und Grauen erweckende Worte benutzen muss. Denn wir leben in einer Zeit, in der die Zukunft der Menschheit düster und bedrückend scheint. Und nur darüber lohnt es sich heutzutage wirklich zu reden.

Zunächst aber möchte ich mich für den Preis bedanken. Ich liebe das Hirschberger Tal und das Riesengebirge seit meiner Kindheit. Es ist die beste, schönste und interessanteste Region in Polen. Und ich erzähle das immer wieder und überall – nicht nur hier. Im Riesengebirge entstand meine Liebe zu den Bergen und zur Natur, hierher bin ich mit meinen Pfadfinderfreunden und später allein immer wieder zurückgekehrt, um auf den Bergpfaden zu wandern. Es ist beinahe unmöglich, auf meiner mental map neben meinem Geburtshaushaus und dem jetzigen Zuhause einen Ort zu finden, der mir so nahe ist. Einmal hat jemand beim Sichten meiner Fotos aus der Region gesagt, ich würde sie fotografieren, wie man nur sein Zuhause fotografiert.

Im Hirschberger Tal habe ich auch ein Buch geschrieben, das mein berufliches Leben völlig veränderte. Dank dieses Buches kann ich heute das machen, wovon ich vor zehn Jahren nicht zu träumen gewagt hätte.

Die Geschichte von Kupferberg/Miedzianka ist die Geschichte von Menschen, die der Natur ihre Schätze raubten ohne über die möglichen Konsequenzen nachzudenken. Leichtsinnig haben sie eine übermenschliche Hypothek aufgenommen, die von zukünftigen Generationen getilgt werden sollte. Die Geschichte von Kupferberg ist gleichzeitig eine Erzählung über die Verdrängung der Wahrheit und die Vergiftung ganzer Gesellschaften durch die Ideologien der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts.

Heute stehen wir vor der Herausforderung ökologischer Katastrophen. In den kommenden Dekaden, in der Zeit also, in der die heutige Jugend erwachsen sein wird, können diese Katastrophen die Menschheit von der Erdoberfläche verdrängen. Es handelt sich nicht um eine schemenhafte Gefahr am Horizont der Zukunft. Diese Gefahr ist real und zum Greifen nahe.

Wo können diese Worte eindringlicher klingen als hier: in einer durch den Raubabbau an der Natur von der Landkarte verschwundenen Stadt; im trockenen Flussbett der Sudeten-Bäche; inmitten der massenhaft absterbenden Fichten und Kiefern; oder im toxischen Smog, der über beinahe jeder polnischen Stadt hängt, auch in Waldenburg und Hirschberg.

Wir glaubten, dass wir dank des technischen Fortschritts außerhalb der Natur leben können. Jetzt meldet sich die Natur zurück und macht uns bewusst, dass dies ein großer Irrtum war. Wir müssen eine neue Gemeinschaft aufbauen, die dem System, das uns in die Katastrophe treibt, entschieden Widerstand zu leisten vermag. Die Schuld liegt bei den großen Konzernen und Regierungen, auch wenn man versucht, diese Schuld zu individualisieren. So wie man die Schuld für Miedziankas Verschwinden zunächst einer ethnischen Gruppe, den Roma, zuzuschreiben versuchte, später dann einer einzigen Person und ausgerechnet jener, die für das Schicksal der Bewohner von Miedzianka am meisten gesorgt hat. Die Rede ist natürlich von Irena Kamińska-Siuta.

Nur Gemeinschaft kann uns die Kraft geben, der ökologischen Katastrophe entgegenzuwirken. Im Hirschberger Tal wächst diese Gemeinschaft unmittelbar aus der Landschaft. Es ist einfacher, sich um die Natur zu kümmern, wenn sie so überwältigend schön ist wie hier. Auf jedem Schritt und Tritt begegne ich hier Menschen, die in ihre Region verliebt sind. Und diese Bewunderung für die Landschaft der Sudeten ist ein supranationale Gemeinschaft stiftendes Verbindungsglied zwischen den heutigen und den deutschen ehemaligen Bewohnern des Gebietes.

Ich stehe tief in Miedziankas Schuld, die heute mit diesem Preis noch anwächst. Ich versuche diese Schuld so gut ich kann zu tilgen, indem ich zusammen mit dem Institut für Reportage jedes Jahr das Literaturfestival MiedziankaFest organisiere, zu dem ich Sie schon heute herzlich einladen möchte. Das Thema des nächsten Festivals wird die ökologische Katastrophe sein, verstanden als eine fundamentale Krise unserer Vorstellungskraft. Ich bin nämlich davon überzeugt, dass Literatur uns nicht nur dabei hilft, die Welt besser zu verstehen, in der wir leben, sondern auch dabei, sich die Welt vorzustellen, in der wir demnächst leben werden müssen.

Übersetzung: Agnieszka Bormann

Wersja PL