Vor 50 Jahren erschien „Die erste Polka“ von Horst Bienek

Das ist der erste Band der Gleiwitzer Tetralogie, mit der Bienek seiner Heimatstadt ein literarisches Denkmal setzte

Es spielt an nur einem Tag, dem 31. August 1939.

Mit der sog. Gleiwitzer Tetralogie, deren erster Teil mit dem Titel „Die erste Polka“ vor 50 Jahren erschien, setzte der Schriftsteller Horst Bienek seiner Heimatstadt Gleiwitz (Gliwice) ein literarisches Denkmal. Gleichzeitig schuf er ein Werk, das auf die vielen Facetten der regionalen Eigenart hinweist und mit Erfolg versucht, Oberschlesien zu erklären.

In einer der Schlussszenen des Bandes werden zwei Protagonisten zufällig Zeugen des – wie sich später erwies – fingierten Überfalls auf den Gleiwitzer Rundfunksender. Die Provokation vom 31. August 1939, mit der Hitler einen Vorwand für den geplanten Angriff auf Polen schaffen sowie Frankreich und Großbritannien von einem Eintritt in den Krieg abhalten wollte, hätte Bienek beinahe selbst erleben können. Schließlich war das Haus an der Waldschule, in dem er seine Kindheit verbrachte, nur knapp 1.500 Meter von der Rundfunkstation entfernt. Übrigens stützt sich vieles, worüber der Autor in der Tetralogie erzählt, auf seine eigenen Erfahrungen und die seiner Familie. Dass die komplette Handlung des Romans an nur einem Tag spielt, nämlich dem 31. August 1939, ist freilich kein Zufall. Denn aus der Perspektive der 1970er Jahre, in denen der Band entstand, betrachtete man ihn nicht nur als den letzten Augenblick des Friedens. Was Bienek selbstverständlich bewusst war, markierte der Tag auch den Anfang vom Ende des deutschen Oberschlesien, das sich knapp sechs Jahre später vollzog. So sehr Bienek dem Verlust der Heimat nachtraute, betrachtete er ihn als logische Konsequenz des von Deutschland entfesselten und am Ende verlorenen Krieges.

Der Sender Gleiwitz – Schauplatz der Provokation vom 31. August 1939. Quelle: Kapitel, wikimedia commons

Der 1975 im Münchener Carl Hanser Verlag erschienene Band „Die erste Polka“ wurde in der Bundesrepublik gut aufgenommen. Bienek war damals ein viel gelesener und auch viel gelobter Autor. Interessanterweise folgte bereits 1983 die polnische Ausgabe des Buches. Wohl wegen seiner pazifistischen Botschaft und der kritischen Abrechnung mit der nationalsozialistischen Periode hatten die kommunistischen Machthaber keine größeren Probleme mit einem Roman, dessen Handlung im deutschen Oberschlesien spielt. Auch der gleichnamige Film von Klaus Emmerlich von 1979 wurde schon in den frühen 1980er Jahren im polnischen Fernsehen ausgestrahlt. Viele Gleiwitzer erlebten jedoch damals eine tiefe Enttäuschung, weil nicht ihre Heimatstadt, sondern – wie sich erst später herausstellte – Ostrau (Ostrava) die Kulisse für die Dreharbeiten dargestellt hatte. Die tschechoslowakische Industriestadt war eine Notlösung, weil die Parteiführung in Kattowitz (Katowice) Dreharbeiten in Oberschlesien nicht erlaubt hatte.

Szene aus dem Spielfilm „Die erste Polka“. Quelle: www.cinema.de

2025 jährt sich zum 95. mal der Geburts- und zum 35. mal der Todestag des viel zu früh verstorbenen Schriftstellers. Wie schade, dass er die deutsch-polnische Annäherung in den 1990er und 2000er Jahren nicht mehr erlebte. Denn so wie Janosch für Zabrze/Hindenburg zu einer Art literarischem Botschafter wurde, hätte auch Bienek für seine Heimatstadt Gleiwitz diese Funktion übernommen können.

Text: Dawid Smolorz