Am 29. April 1970 spielte Górnik Zabrze im Finale des Pokals der Pokalsieger

Großer Erfolg oder vertane Chance?

Als erster und bisher einziger Verein aus Oberschlesien (und aus Polen) nahm Górnik Zabrze am Endspiel eines europäischen Fußballwettbewerbs teil.

Die meisten, die das Glück hatten, vor 51 Jahren den Weg der oberschlesischen Mannschaft ins Finale zu verfolgen, erinnern sich viel lieber an die von Erfolg gekrönten Partien gegen den AS Rom als an das verlorene Finale gegen Manchester City. Im Halbfinale musste Górnik dreimal gegen die Italiener antreten, denn nach zwei Partien stand es unentschieden und Elfmeterschießen gab es damals noch nicht. Auch das dritte Spiel im neutralen Straßburg endete mit einem Remis. Heute behauptet man oft, dass die Hindenburger nach einem Münzwurf ins Finale gekommen seien. Das stimmt aber nicht ganz. Denn der Schiedsrichter warf nicht eine Münze, sondern einen rot-grünen Jeton. Der Kapitän der oberschlesischen Mannschaft, Stanisław Oślizło, zeigte auf grün und das war – wie sich Sekunden später erwies – eine gute Entscheidung. Erst 20 Jahre später erklärte er, dass seine Wahl keineswegs zufällig gewesen war. Denn der Ostoberschlesier Oślizło war ein überzeugter Antikommunist, sein Vater hatte sogar wegen „antisozialistischer Tätigkeit“ einige Jahre in der Todeszelle verbracht. Das Urteil war aber am Ende nicht vollstreckt worden. Die mit dem Kommunismus assoziierte Farbe Rot stand für ihn somit nicht zur Debatte. Eine gute Entscheidung.

Vor dem Halbfinale gegen AS Rom im Schlesischen Stadion in Königshütte/Chorzów. Bildquelle: Archiv Górnik Zabrze.

Das Finale im Wiener Praterstadion fand schon eine Woche nach dem Horror von Straßburg statt. Der Gegner – Manchester City – war stark, aber auch Górnik gehörte in den späten 60er und frühen 70er Jahren zu den europäischen Spitzenmannschaften. Dennoch spielten die Oberschlesier vor allem in der ersten Halbzeit sehr ängstlich. Nach 90 Minuten freuten sich die Insulaner über den 2:1-Sieg. Über die vertane Chance wurde noch lange in ganz Polen diskutiert. Einige Spieler, unter anderem Oślizło, warfen dem Trainer Michał Matyas, welcher die vom ungarischen Couch Géza Kalocsay aufgebaute Mannschaft erst Anfang 1970 übernommen hatte, vor, er habe fürs Finale eine falsche Taktik gewählt.

Trainer Géza Kalocsay – der Vater der großen Erfolge von Górnik in den 1960er Jahren. Bildquelle: Archiv Górnik Zabrze.

Die sonst äußerst offensiv spielende Mannschaft von Górnik sei von ihm auf Defensive eingestellt worden, was die Mannschaft verunsichert habe. Matyas habe zu viel Respekt vor Manchester gehabt, mit Kalocsay hätte man gewonnen – wurde nach dem verlorenen Finale in Oberschlesien spekuliert. Der Mittelfeldspieler Jan Banaś (geboren als Hans-Dieter Banas) wies aber auch auf einen anderen Aspekt hin. Viele Medien in Polen hätten behauptet, schon das Finale sei ein großer Erfolg. Dies habe sich auf die Motivation der Fußballer schlecht ausgewirkt. Die Frustration bei den Spielern und den Fans wäre vielleicht etwas geringer gewesen, wenn sie gewusst hätten, dass Górnik auch fünf Jahrzehnte später der einzige Verein aus Oberschlesien und aus Polen bleiben wird, der es ins Finale eines europäischen Fußballwettbewerbs schaffte.

Text: Dawid Smolorz