Breslau ist die Heimat des IQ-Begriffs

Vor 150 Jahren wurde William Louis Stern, der Erfinder des Intelligenzquotienten, geboren

Ein Kunstwerk erinnert heute in Wrocław an den großen Wissenschaftler.

Jeder hat schon mal vom IQ-Begriff und der IQ-Skala gehört, vielleicht haben Einige probiert, den eigenen Intelligenzquotienten zu berechnen. Es gibt dazu zahlreiche Veröffentlichungen, Artikel, IQ-Tests. Was aber nur Wenige wissen, ist, dass die Idee, die Fähigkeiten des Gehirns messen zu können, in Breslau/Wrocław entstand.

William Louis Stern war einer der größten Pioniere der Psychologie. Bildquelle: commons.wikimedia.org.

Der Psychologe William Louis Stern (eigentlich Ludwig Wilhelm Stern) wurde am 29. April 1871 in Berlin geboren. Dort hat er studiert, habilitiert, dort lernte er auch seine spätere Frau, Clara, geb. Joseephy, kennen. Als 26-jähriger wurde er vom Prof. Hermann Ebbinghaus nach Breslau eingeladen und seit 1897 bis 1916 war er mit der Breslauer Universität eng verbunden. In der niederschlesischen Hauptstadt sind seine wichtigsten Werke entstanden, hier wurden seine Kinder geboren: zwei Töchter und ein Sohn. Sie sind übrigens auch bekannt geworden: Hilde Marchwitza war Übersetzerin und Widerstandskämpferin, Eva Michaelis-Stern – Mitbegründerin und Leiterin der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugend-Alijah in Berlin und London, und Günther Anders – Philosoph, Essayist, Prosadichter und Lyriker.

Die Beobachtungen der eigenen Kinder erlaubten dem Psychologen, viele Theorien aufzubauen, u.a. wie die intellektuelle Entwicklung der Kinder abläuft. Zusammen mit seiner Frau Clara erforschten sie die frühkindliche Sprachentwicklung und leisteten Pionierarbeit im Bereich von Fähigkeitsdiagnosen oder Begabungspotenzialen. Darüber hielt Stern auch Vorträge. Eine seiner Studentinnen in Breslau war Edith Stein – spätere Philosophin und Heilige der römisch-katholischen Kirche. Sie studierte vier Semester lang an der Breslauer Universität Germanistik, Geschichte, Psychologie und Philosophie. An dem Gebäude, wo sich heute das Institut für Anthropologie der Breslauer Universität und ein kleines Menschenmuseum befindet (Kuźnicza 35), fanden die Vorlesungen statt. So beschreibt diese Zeit Edith Stein:

„Mit Rose traf ich in den philosophischen und psychologischen Vorlesungen zusammen, und durch sie wurde ich einem Kreis von jungen Menschen zugeführt, dem ich wohl das Wertvollste in meiner Breslauer Studienzeit verdankte. Er nannte sich »Pädagogische Gruppe« und war hauptsächlich aus Schülern und Schülerinnen des Sternschen Seminars hervorgegangen. (…) Stern stellte in seiner gütigen Weise das Psychologische Seminar als Versammlungslokal zur Verfügung. Es war damals im II. Stock des ehemaligen Konviktgebäudes Schmiedebrücke 35 untergebracht. (Wir erlebten es noch, daß es mit dem Philosophischen Seminar zusammen in die schöneren und würdigeren Räume des I. Stocks verlegt wurde, und durften mit dorthin übersiedeln.) Dort kamen wir jede Woche einmal abends von 8–10 zusammen. Um 10 wurde das Haus geschlossen. Wenn die Diskussion dann noch nicht zu Ende war, ging man noch in ein Café, im Sommer auch manchmal in den Scheitniger Park (einen schönen, alten, englischen Park im Osten der Stadt), um die Nachtigallen schlagen zu hören“. (Quelle: Edith Stein, „Aus dem Leben einer jüdischen Familie und weitere biographischen Beiträge“)

Während seines 19-jährigen Aufenthaltes in Breslau gab William Stern einige wichtige Werke heraus, u.a. „Die psychologischen Methoden der Intelligenzprüfung”, in dem er die Ideen zum Messen der Intelligenz vorstellte. Das war der erste Versuch, mit Hilfe der Mathematik die Fähigkeiten des menschlichen Gehirns messen und begreifen zu können. Stern machte Intelligenz messbar, bestand aber darauf, den Menschen als einzigartiges Ganzes zu betrachten. Jeder Mensch war seiner Meinung nach ein Individuum, dessen Züge sich mit Hilfe von verschiedenen Tests und Normen messen lassen.

In Breslau lebte Stern bis 1916, danach war er mit Hamburg verbunden. Hier engagierte er sich für die Gründung der Hamburger Universität und war Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs). Als Nazis an die Macht kamen, wurde er wegen seiner jüdischen Herkunft seiner Ämter enthoben und musste in die USA emigrieren. Er war Visiting Professor an der Duke University in Durham, North Carolina, wo er 1938 starb.

Das Kunstwerk von Józef Hałas wurde William Stern, dem Erfinder des Intelligenzquotienten, gewidmet. Es befindet sich zwischen den Bürogebäuden „Green Towers“ (Architekt: Zbigniew Maćków) in der Strzegomska-Str. in Wrocław. Das Kunstwerk knüpft an das 100. Jubiläum der Erfindung des IQ-Begriffes.

In Wrocław wurde 2013 ihm zu Ehren ein Kunstwerk aufgestellt. Der Autor, Prof. Józef Hałas, wollte die Erinnerung an den Psychologen mit den Mitteln der Kunst ausdrücken. An den Wissenschaftler, der 1912 in Breslau den Intelligenzquotienten entdeckte.

Text und Fotos: Małgorzata Urlich-Kornacka