Tagungsbericht vom Schlesien-Kolloquium 2025

Am 24.-25. Oktober fand im Haus Schlesien in Königswinter das 9. Schlesien-Kolloquium statt

Präsentiert wurden aktuelle Forschungsprojekte zur Geschichte, Architektur, Erinnerungskultur und Literatur Schlesiens.

Am 24.-25. Oktober 2025 fand im HAUS SCHLESIEN in Königswinter das diesjährige, bereits 9. Schlesien-Kolloquium statt. Die Tagung, getragen von einem Netzwerk aus HAUS SCHLESIEN, dem Oberschlesischen Landesmuseum, dem Kulturreferat für Schlesien am Schlesischen Museum zu Görlitz sowie der Stiftung Kulturwerk Schlesien, bot erneut ein interdisziplinäres Forum für Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und Kulturschaffende aus Deutschland, Polen und Tschechien. Unter der organisatorischen Leitung von Adam Wojtala (HAUS SCHLESIEN) wurden aktuelle Forschungsprojekte zu Geschichte, Architektur, Erinnerungskultur und Literatur Schlesiens vorgestellt und diskutiert.

Architekturgeschichte zwischen Erinnerung und Austausch

Die erste Sektion widmete sich der Architekturgeschichte und wurde von Dr. David Skrabania (Oberschlesisches Landesmuseum) moderiert. Aleksandra Podlejska (Universität Breslau) präsentierte ihre Dissertation über die jüdischen Architekten Richard und Paul Ehrlich, deren Wirken in der städtebaulichen Entwicklung Breslaus bislang wenig beachtet wurde. Sie plädierte für eine stärkere Sichtbarkeit jüdischer Beiträge zur schlesischen Baugeschichte. Christina Ladda (Ruhr-Universität Bochum) untersuchte in ihrem Promotionsprojekt die fachliche Zusammenarbeit westdeutscher und polnischer Architektinnen und Architekten im Kalten Krieg. Anhand von Fallstudien und Fachpublikationen zeigte sie, wie sich trotz politischer Trennung gemeinsame Leitbilder im Städtebau herausbildeten.

Wirtschaftsgeschichte im Zeichen der Elektrifizierung

Unter der Leitung von Prof. Dr. Krzysztof Ruchniewicz (Universität Breslau) beleuchtete die zweite Sektion wirtschaftshistorische Entwicklungen. Dr. hab. Przemysław Dominas rekonstruierte die Geschichte der Wasserkraftwerke in der Provinz Schlesien zwischen 1905 und 1935. Er zeigte, wie die Umsetzung des Hochwasserschutzgesetzes von 1900 zur Modernisierung der Region beitrug. Der Vortrag basierte auf umfangreichem Archivmaterial und unterstrich die Rolle staatlicher Infrastrukturpolitik in der regionalen Entwicklung.

Gedächtnislandschaften und kulturelle Narrative

Die dritte Sektion, moderiert von Ass.-Prof. Dr. Ellinor Forster (Universität Innsbruck), widmete sich der Gedächtnis- und Kulturgeschichte. Robert Szczepanik (Universität Breslau) analysierte die Umbenennung von Straßen und Plätzen in Bytom als Spiegel politischer Umbrüche. Seine Arbeit zeigte, wie urbane Toponymie zunehmend durch lokale Erinnerungskultur geprägt wird. Roman Balczarek (Universität Breslau) stellte anhand von Familienbriefen und Fotografien die Kriegserfahrungen des Wehrmachtssoldaten Emil Gola vor. Er reflektierte die Dynamiken von Erinnerung und Schweigen in familiären Kontexten. Jakub Hájek (Schlesische Universität Opava) lenkte den Blick auf das tschechische Schlesien und forderte eine stärkere Einbindung dieser Region in den europäischen Diskurs. Sein Beitrag verband historische Analyse mit aktuellen Identitätsfragen.

Totalitarismus und transgenerationale Prägungen

Auch die vierte Sektion wurde von Prof. Dr. Krzysztof Ruchniewicz moderiert. PD Dr. Nicolas Dreyer (Universität Bamberg) analysierte Denkmäler in Breslau/Wrocław, die an den Zweiten Weltkrieg und totalitäre Systeme erinnern. Er zeigte, wie unterschiedliche Opfergruppen in der polnischen Gedenkkultur sichtbar gemacht werden. Clara Maria Gleixner (Medical School Hamburg) untersuchte die Weitergabe von Emotionen und Ressourcen im Kontext der Vertreibungen nach 1945. Ihre Interviews mit Angehörigen der zweiten und dritten Generation verdeutlichten, wie traumatische Erfahrungen über Narrative und Erziehungspraktiken weiterwirken.

Sprachliche Vielfalt und literarische Selbstverortung

Die fünfte Sektion, moderiert von Agnieszka Bormann (Schlesisches Museum zu Görlitz) und Lisa Haberkern (Stiftung Kulturwerk Schlesien), widmete sich sprach- und literaturwissenschaftlichen Perspektiven. Dr. Justyna Szlachta-Ignatowicz (Universität Warschau) analysierte drei Generationen oberschlesischer Autorinnen und Autoren. Sie unterschied zwischen „Erfahrungssammlern“, „Selbstsuchern“ und „verankerten Flüchtlingen“ und zeigte, wie sich literarische Identitätsentwürfe über die Generationen hinweg wandeln. Marta Magdalena Kaczmarczyk (Universität Hamburg) stellte ihre Masterarbeit zu Spracheinstellungen gegenüber dem Schlesischen im Raum Oppeln vor. Ihre Kombination aus qualitativen Interviews und quantitativer Umfrage beleuchtete die Zuschreibungen junger Erwachsener und die Wirkung öffentlicher Diskurse auf Sprachwahrnehmung.

Das 9. Schlesien-Kolloquium zeigte eindrucksvoll die Vielfalt aktueller Forschungsansätze zur Geschichte, Kultur und Identität Schlesiens. Die Beiträge spiegelten die interdisziplinäre Tiefe und die lebendige deutsch-polnische Zusammenarbeit wider. Die intensive Diskussion in den Sektionen und im Plenum unterstrich die Relevanz des Themas für Wissenschaft und Gesellschaft.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Moderatorinnen und Moderatoren sowie Organisatoren des 9. Schlesien-Kolloquiums, versammelt am Joseph von Eichendorff – Denkmal im Garten am Haus Schlesien. Fot. Florian Paprotny, Haus Schlesien
Moderatorinnen und Moderatoren (in alphabetischer Reihenfolge)

Agnieszka Bormann ist Kulturreferentin für Schlesien am Schlesischen Museum zu Görlitz. Sie studierte Germanistik, Öffentliche Kommunikation und Medien sowie Kultur und Management. Als Kulturreferentin realisiert sie – oft mit Partnern aus Deutschland und Polen – diverse Projekte zur Vermittlung schlesischer Kultur, Geschichte und Gegenwart.

Ass.-Prof. Dr. Ellinor Forster ist Assoziierte Professorin am Institut für Geschichte und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen Erinnerungskultur, Geschlechtergeschichte und transnationale historische Prozesse. Sie ist zudem Erasmus-Koordinatorin und engagiert sich in der internationalen akademischen Zusammenarbeit.

Lisa Haberkern ist Geschäftsführerin der Stiftung Kulturwerk Schlesien. Sie studierte Kultur und Management sowie Kultur und Geschichte Mittel- und Osteuropas. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Memory Studies, der Migrationsgeschichte und der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte.

Prof. Dr. Krzysztof Ruchniewicz ist am Historischen Institut der Universität Breslau (Uniwersytet Wrocławski) tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte, der Zeitgeschichte und der Erinnerungskultur. Er ist Autor zahlreicher Publikationen und engagiert sich aktiv im wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Dialog.

Dr. David Skrabania ist Direktor des Oberschlesischen Landesmuseums in Ratingen. Der promovierte Historiker und Slawist war zuvor Kulturreferent für Oberschlesien und kuratierte zahlreiche Ausstellungen zur Migrations- und Regionalgeschichte. Seine Arbeit verbindet museale Praxis mit wissenschaftlicher Forschung zur deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte.

Auszeichnung für herausragende Beiträge

Erstmals wurde im Rahmen des Kolloquiums ein Preis für die besten Beiträge vergeben. Die Jury, bestehend aus den Moderatorinnen und dem Moderator der Sektionen, entschied sich für eine doppelte Auszeichnung: Clara Maria Gleixner und Christina Ladda erhielten gemeinsam den ersten Preis, während Marta Magdalena Kaczmarczyk und Robert Szczepanik sich den zweiten Platz teilten. Die Veranstaltenden danken dem anonymen Stifter herzlich für seine großzügige Unterstützung der Schlesienforschung.

Einladung nach Görlitz

Das nächste, 10. Schlesien-Kolloquium wird am 23.-24. Oktober 2026 im Schlesischen Museum zu Görlitz stattfinden. Die Organisation übernimmt Agnieszka Bormann, Kulturreferentin für Schlesien. Bewerbungen sind bis zum 15. September 2026 möglich. Weitere Informationen finden Sie hier

Auch 2026 wird die Tagung Raum für neue Perspektiven, kritische Reflexionen und interdisziplinären Austausch bieten – ein lebendiges Forum für die Erforschung und Vermittlung schlesischer Geschichte, Kultur und Identität.

Text: Lisa Haberkern