Das Ende des Kommunismus in Oberschlesien

Vor 35 Jahren, am 4. Juni 1989, sagten die Polen „Nein“ zum alten System

Die ersten zumindest teilweise demokratischen Wahlen nach 1945 leiteten eine neue Epoche in der jüngsten Geschichte Polens ein.

Anders als beabsichtigt, war es der kommunistischen Regierung unter General Wojciech Jaruzelski nicht gelungen, nach der Verhängung des Kriegsrechts im Dezember 1981 oppositionelle Gruppen, vor allem die fortan im Untergrund aktive freie Gewerkschaft „Solidarność“, durch Schikanen, Verhaftungen und Ausreisedruck vollständig zu zerschlagen. Auch nach Dezember 1981 kam es in den größten Zentren des Landes immer wieder zu Protesten und Demonstrationen. Die sehr schlechte wirtschaftliche Situation, katastrophale Versorgungsengpässe und der immer stärker werdende Wunsch nach Demokratie führten im Frühjahr und Sommer 1988 zu einer erneuten Streikwelle, die große Teile Polens erfasste.

Demonstration am Marktplatz in Kattowitz (Katowice) im Frühjahr 1989. Versuch einer friedlichen Übernahme der Räumlichkeiten des kommunistischen Informationsmonopolisten „Prasa-Książka-Ruch“ durch die Bürger. Quelle: Privatarchiv Wojciech Jaroń.
Runder Tisch

In Oberschlesien legten u. a. die Belegschaften des Hüttenwerks „Małapanew“ in Malapane (Ozimek) sowie der Bergwerke „Manifest Lipcowy“ in Bad Königsdorff-Jastrzemb (Jastrzębie Zdrój) und „Pierwszego Maja“ in Loslau (Wodzisław Śląski) die Arbeit nieder. Das schwächelnde Regime konnte auf eine Unterstützung aus Moskau nicht mehr hoffen, da die Sowjetunion infolge des von US-Präsident Ronald Reagan eingeläuteten Rüstungswettlaufs immer mehr in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet. So nahmen die Kommunisten, die sich ihrer Situation bewusst waren, im Februar 1989 Gespräche mit der Opposition auf (sog. Runder Tisch), mit denen weitreichende Demokratisierungsprozesse eingeleitet wurden. Ihr Ergebnis waren u. a. die Wiederzulassung der „Solidarność“ und eine Vereinbarung über die Abhaltung der teilweise demokratischen Parlamentswahlen im Juni 1989, bei denen unabhängig agierende Bürger maximal 35 Prozent der Sejm-Mandate erhalten durften. Für die Senatswahl galten derartige Einschränkungen nicht.

Eine Wahlbroschüre der demokratischen Opposition aus Oberschlesien und dem Dombrowaer Kohlerevier, 1989. Quelle: Schlesische Digitale Bibliothek / Śląska Biblioteka Cyfrowa.

An den Gesprächen am Runden Tisch waren auch Oberschlesier vertreten: der spätere Chef der regionalen Organisation von „Solidarność“ Alojzy Pietrzyk und Pfr. Alojzy Orszulik. Als bekanntester Oppositioneller aus Oberschlesien galt damals jedoch Kazimierz Świtoń, der bereits in den späten 1970er Jahren die Freien Gewerkschaften Oberschlesiens (Wolne Związki Zawodowe Górnego Śląska) mitgegründet hatte und seit 1980 aktives Mitglied der „Solidarność“ war.

Die Wahlplakate der „Solidarność“ zeigten den jeweiligen Kandidaten zusammen mit Lech Wałęsa. Quelle: Jarosław Maciej Goliszewski, wikimedia commons.

Bei den Wahlen am 4. Juni 1989 setzte die Bevölkerung Polens ein klares Zeichen gegen die kommunistische Macht und die Abhängigkeit von Moskau. Die Kandidaten der Opposition erhielten im Sejm den maximalen Anteil von 35 Prozent der Mandate, im Senat sicherten sie sich 99 von 100 Sitzen. Einen großen Erfolg erzielte die „Solidarność“ auch in Oberschlesien. In den meisten Wahlkreisen der Region, die damals innerhalb der Grenzen von vier Woiwodschaften lag, belief sich die Unterstützung für die Oppositionellen auf 70 bis 80 Prozent.

Das legändere Wahlplakat von 1989. Autor: Tomasz Sarnecki.

Obwohl auch das neue Parlament von den Kommunisten dominiert war, gelang es der demokratischen Opposition eine Koalition mit zwei bisherigen Satellitenparteien zu schließen und am 24. August 1989 Tadeusz Mazowiecki zum ersten nichtkommunistischen Premierminister Polens seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu designieren. Die Juni-Wahlen und die Ernennung Mazowieckis zum Regierungschef leiteten eine neue Epoche in der jüngsten Geschichte Polens ein.

Text: Dawid Smolorz