Von der Katzbach bis zum Rhein

Zum 100. Geburtstag des schlesischen Malers Erhard Hain

Hains Lebensweg wird in der aktuellen Ausstellung „ÜberLebensKünstler“ im HAUS SCHLESIEN dargestellt.

„Auf diesem Wege habe ich am 12. Januar 1945 die Heimat verlassen, auf diesem Wege wollte ich nach 45 Jahren auch wieder heimkehren“, steht neben einem Foto, das ein Auto mit Kölner Kennzeichen auf einer schmalen Landstraße in Schlesien zeigt. Es ist eine von vielen Aufnahmen in einem Album, das der Maler Erhard Hain (1925 – 2010) nach einer Schlesienreise im Herbst 1990 zusammengestellt hat: Er dokumentiert darin den ersten Besuch in seinem Heimatort und Elternhaus in Hermsdorf an der Katzbach (poln. Jerzmanice-Zdrój) nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Seite aus dem Fotoalbum von Hains Reise nach Schlesien, 1990, Foto: Privatbesitz Fam. Hain.

Als der damals 19-Jährige im Januar 1945, vermutlich nach einem Heimaturlaub, das Elternhaus auf besagtem Weg verließ, ahnte er wohl nicht, dass er erst ein halbes Leben später und nur zu Besuch dorthin zurückkehren würde. Der 1925 in Liegnitz (Legnica) geborene Hain, hatte seine Kindheit im nahe Goldberg (Złotoryja) gelegenen Hermsdorf verbracht, wo seine Eltern einen Gasthof betrieben. Er besuchte das Realgymnasium in Goldberg und strebte das Abitur an. Im Sommer 1943 wurde er jedoch direkt von der Schulbank weg, nur mit einem Abgangszeugnis und ohne Schulabschluss, zum Reichsarbeitsdienst einberufen und im Anschluss zur Wehrmacht eingezogen. Er war u.a. in Frankreich, Polen und Russland im Einsatz und geriet 1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Entlassung aus dem Lager Remagen fand er sich in Westfalen wieder, weit entfernt von seinem Zuhause und den Eltern, die erst 1946 aus Schlesien vertrieben wurden. Zunächst wurde der mittellose Hain zu Wiederaufbauarbeiten herangezogen und musste, ganz auf sich allein gestellt, seinen Lebensunterhalt verdienen. Erst 1950 konnte er die Reifeprüfung ablegen und im Anschluss ein Studium an der Pädagogischen Akademie in Lüdenscheid aufnehmen. Er schloss das Studium 1952 ab, heiratete und nahm nach erfolgreichem zweitem Staatsexamen in Köln eine Stelle als

Kunst- und Religionslehrer auf Lebenszeit an. Aufgewachsen im Gasthof „Zum deutschen Rhein“, an der schlesischen Katzbach gelegen, lebte er nun wirklich am Rhein, aber weit entfernt von den Orten seiner Kindheit.

Der Gasthof „Zum deutschen Rhein“ in Hermsdorf an der Katzbach, Foto: Privatbesitz Familie Hain.

Neben seiner Tätigkeit als Lehrer und seinen Pflichten als Familienvater widmete sich Hain wann immer es möglich war seiner großen Leidenschaft: der Malerei. Er studierte mehrere Semester an den Kölner Werkschulen und zog sich auch später, wann immer er Gelegenheit hatte, in sein Atelier zurück und malte. Auch auf seinen Reisen u. a. nach Zandvoort, Mittendorf und an die Côte d’Azur fing er mit Pinsel und Farbe Landschaft und Stimmungen ein. Im Jahr 1978 schied er aus gesundheitlichen Gründen frühzeitig aus dem Schuldienst aus und konnte sich fortan ausschließlich dem Kunstschaffen hingeben. In den folgenden Jahrzehnten entstand das Gros seiner Werke, die er in mehr als einem Dutzend Ausstellungen präsentierte, darunter in Köln, München, Paris und New York.

Die Liebe zur Malerei und insbesondere zu den kräftig leuchtenden Farben, die seine Bilder kennzeichnen, war schon in frühester Jugend geweckt worden, als er bei einem Schulkameraden die von den Nationalsozialisten verpönten französischen Impressionisten kennenlernte. Über dieses Erweckungserlebnis schrieb er später: „[I]ch hatte etwas entdeckt, was ich vom damaligen Unterricht nie erfahren habe. […] Von diesem Tage an malte ich mit großer Begeisterung“. Sein Talent wurde jedoch nicht gefördert, weder im Elternhaus noch in der Schule. Erst auf der Akademie in Lüdenscheid erhielt Hain Mal- und Zeichenunterricht.

Seine frühen Werke sind noch stark von den französischen Malern wie Cézanne und Matisse geprägt, die ihn schon als Schüler fasziniert hatten. Mit der Zeit entwickelte er jedoch seinen ganz eigenen Stil und bediente sich unbeeinflusst von Kunstmoden unterschiedlichster Ausdrucksformen. Während er bis in die 1990er Jahre die Dingwelt in seinen Bildern zwar zuweilen stark abstrahierte, sich aber nie gänzlich vom Gegenstand löste, wandte er sich in seinem Spätwerk zunehmend der völlig abstrakten Bildgestaltung zu. 

So wie die Begegnung mit den französischen Malern und die Ausdruckskraft der Farben Hain seit frühester Jugend begeistert und seine Malerei ein Leben lang beeinflusst haben, so haben ihn auch seine Wurzeln und die Erinnerung an die verlorene Kindheit in Schlesien nie losgelassen. Bilder, die sich dieser Thematik widmen, sind vor allem in seinen späteren Schaffensperioden entstanden: So malte er zum Beispiel 1988 den Gesellschaftsgarten des elterlichen Gasthofes, wie er ihn aus Kindertagen in Erinnerung hatte. Als er bald nach dem Fall des Eisernen Vorhangs im Herbst 1990 zu einer Reise nach Schlesien aufbrach und sich auf Spurensuche begab, fand er den Gesellschaftsgarten zwar nicht mehr vor, ebenso fehlte der Tanzsaal, nachdem das Dach eingestürzt war, vieles war jedoch fast unverändert geblieben. Raum für Raum hat er die Erinnerung und den aktuellen Zustand in Foto und Text festgehalten. Aber nicht nur sein Fotoalbum zeugt davon, wie sehr ihn das Thema Schlesien beschäftigt hat: Im Nachgang der Reise sind mehrere Bilder entstanden, in denen er seine Gedanken und Erinnerungen an die Heimat verarbeitet hat. Noch im gleichen Jahr fertigte er u.a. das Bild „Türme von Goldberg“ und ein Gemälde seines Elternhauses an, aber auch später setzte er sich mit dem Thema auseinander, wie das Bild „Heimat Schlesien abstrakt“ aus dem Jahr 2003 veranschaulicht.

Am 22. Juli jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag von Erhard Hain. Der Künstler ist bereits in seinem 85. Lebensjahr, im Januar 2010, verstorben, doch in seinen Werken lebt er weiter: Von ihrer Ausdrucksstärke und Leuchtkraft haben sie nichts eingebüßt und nachdem der Künstler sich zu Lebzeiten nicht um die Moden der Kunst geschert hat, sind seine Bilder auch zeitlos geblieben.

Hains Lebensweg wird, wie die Biographien von Paul Preis (1900 – 1979), Ludwig Manfred Lommel (1891 – 1962) und Hans Lipinsky-Gottersdorf (1920 – 1991) in der Ausstellung „ÜberLebensKünstler. Vier Künstler, zwei Generationen, ein Schicksal: Krieg und Heimatverlust 1945“ im HAUS SCHLESIEN dargestellt. Der Schwerpunkt liegt darauf, zu zeigen, welche Spuren Krieg, Flucht und Vertreibung 1945 im Leben und Werk dieser vier ausgewählten Künstler hinterlassen haben.

Eine Auswahl von Hains Werken ist zudem in der Ausstellung „Realität und Reflexion. Werke des Künstlers Erhard Hain“ im Eichendorffsaal von HAUS SCHLESIEN zu sehen.

Text: Silke Findeisen
Bilder: Haus Schlesien