Slawisch, aber deutsch gesinnt: Mährischsprachige Oberschlesier in den letzten 100 Jahren

Die Grenzziehung nach dem Ersten Weltkrieg war eine Zäsur für Südoberschlesien

Die mährischsprachigen Oberschlesien durchliefen in den letzten 100 Jahren eine wechselvolle Geschichte. 

Noch 1920 sprachen annähernd ein Drittel der Einwohner des Landkreises Ratibor/ Racibórz und ca. zehn Prozent der Einwohner des Kreises Leobschütz/ Głubczyce den mährischen Dialekt als Muttersprache. Die Situation im Süden Oberschlesiens änderte sich jedoch, als nach dem Ersten Weltkrieg die Staatsgrenzen neu gezogen wurden. Während der Kreis Leobschütz komplett bei Deutschland verblieb, musste Berlin einen Teil des Landkreises Ratibor, der fortan als Hultschiner Ländchen bezeichnet wurde, an Prag abtreten. Somit wurden die meisten mährischsprachigen Oberschlesier – ohne nach ihrem Willen gefragt zu werden – tschechoslowakische Staatsbürger. Völlig unbeachtet ließen die Siegermächte des Ersten Weltkrieges die traditionellen mentalen Bindungen an Preußen sowie den Umstand, dass sich die oberschlesischen Mähren in Deutschland grundsätzlich nicht als nationale Minderheit, sondern als slawischsprachiges Element der preußischen Gesellschaft betrachteten.

Wegekreuz mit mährischer Inschrift, Boleslau, Fot. D. Smolorz.

In dem deutsch verbliebenen Teil des Landkreises Ratibor befanden sich nach 1920 nur einige wenige Orte, in denen Mährisch als Umgangssprache gesprochen wurde bzw. mährische Gottesdienste stattfanden, unter anderem Boleslau/ Bolesław, Borutin/ Borucin, Kranowitz/ Krzanowice und Klein Peterwitz/ Pietraszyn. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 drohten bei öffentlichem Gebrauch des mährischen Dialekts Schikanen – bestenfalls Verwaltungsstrafen. Zudem zwang das nationalsozialistische Regime 1939 die Kirchenverwaltung dazu, das Mährische aus der Liturgie zurückzuziehen. Damit wurde der Dialekt zum ersten Mal seit Jahrhunderten gänzlich aus den Gotteshäusern verbannt.

Die Volksrepublik Polen, die 1945 die Verwaltung im Leobschützer und im Ratiborer Land übernahm, erkannte die mährischsprachigen Oberschlesier zwar nicht als ethnische Minderheit an, ließ jedoch in einigen Ortschaften die Abhaltung der Gottesdienste im Dialekt zu. Von Akzeptanz konnte allerdings keine Rede sein. In der kommunistischen Periode waren die Behörden bemüht, die mährischsprachigen Oberschlesier mit verschiedenen Mitteln zu polonisieren, was ihnen zumindest auf linguistischer Ebene zum Teil gelang. Aufgrund ihrer starken deutschen Gesinnung galt die gesamte Gemeinschaft bis zum Ende der Volksrepublik als verdächtig. Bereits in den späten 1950er Jahren verließ die große Mehrheit der im Kreis Leobschütz noch lebenden mährischen Oberschlesier ihre Heimat in Richtung Westdeutschland. Im Ratiborer Land fand dagegen kein Massenexodus statt, wodurch sowohl der Dialekt als auch gewisse mährische Traditionen teilweise bis heute im Alltagsleben dieses Landstrichs präsent sind. Trotz der jahrzehntelangen Polonisierung behielten überdies viele Einwohner ihre mährisch-oberschlesische Identität und die deutsche Gesinnung bei. Die Ortschaften im Süden des Ratiborer Landes gelten daher als Hochburgen der deutschen Minderheit, was in der Gemeinde Kranowitz unter anderem mit zweisprachigen, deutsch-polnischen Ortsschildern Ausdruck findet.

Text: Dawid Smolorz