Werkstätten in Polen, Deutschland und Belgien fertigen Einzelteile für die Rekonstruktion der Orgel von Michael Engler
Die feierliche Enthüllung der Orgel erfolgt im Herbst 2021.
In den Werkstätten in Polen, Deutschland und Belgien wird gerade an der Herstellung der Einzelteile für die Rekonstruktion der Orgel von Michael Engler aus der Garnisonkirche St. Elisabeth in Wrocław gearbeitet.
Die von Michael Engler gebaute Orgel aus dem 18. Jh. war das prachtvollste Musikinstrument im damaligen Schlesien – sowohl in Hinblick auf die musikalischen Vorzüge als auch auf das Aussehen. Sie beanspruchte eine Fläche von 115 m2 im hinteren Bereich des Hauptschiffes der Basilika. Ihre Spannweite umfasste 9,6 m, die Tiefe – 15 m, die Höhe einschließlich der Architekturelemente – 16,6 m. Die ganze Konstruktion war 11 m über dem Fußboden aufgehängt. Den vergoldeten und farblich gefassten Orgelprospekt schmückten riesige Figuren sowie Hunderte von geschnitzten Details. Die Orgel brannte im Jahr 1976 vollständig aus, übrig geblieben sind lediglich sechs Fragmente verbrannter Skulpturen. Die Zerstörung dieses spektakulären Instruments war für Wrocław ein riesiger Verlust.
Die Bemühungen um den Wiederaufbau der Orgel dauerten viele Jahre. Die Basilika wurde renoviert, die Empore wiederhergestellt. Doch der Platz für die Orgel blieb weiterhin leer. 2018 wurde ein Firmenkonsortium ausgewählt, das das Instrument rekonstruieren soll. Der Idee des Koordinators und Bevollmächtigten des Konsortiums, Andrzej Lech Kriese zufolge soll das Instrument seinen „Wrocławer Charakter” beibehalten. So entstand auch hier eine Werkstatt, in der Absolventen der Kunstakademie Wrocław sowie aus anderen Kunstkreisen im In- und Ausland an der Rekonstruktion der Skulpturen und anderen Details arbeiten.
Nach monatelangen Forschungsarbeiten wurde zuerst in der Werkstatt ein vollplastisches Modell im Maßstab 1:10 aufgestellt. Dank diesem Bau konnte die tatsächliche Größe des Originals aus dem 18. Jh. rekonstruiert werden. Das war nämlich nicht einfach, denn die Proportionen der Figuren waren sehr spezifisch. Sie hatten längliche Köpfe, Torsi und Kopfbedeckungen, die so entworfen wurden, damit sie aus der Untersicht proportional erscheinen. Das Modell wurde in traditioneller Tischlertechnik gefertigt, für seine Konstruktion verwendete man auch plastische Techniken, darunter auch innovative wie der 3D-Druck.
Der spektakuläre Orgelprospekt verfügte über ein außerordentlich reiches Dekor, bestehend aus diversen Figuren – Engel, Personifikationen der Tugenden, Gestalten des Alten und des Neuen Testaments, die einen Rahmen für das Instrument selbst bildeten. Während der Forschungsarbeiten konnte man sogar ermitteln, welche Instrumente das auf dem Prospekt aufgestellte Engelorchester spielte – diese Attribute waren in der Fotodokumentation nicht zu finden, da sie bereits vorher verloren gegangen waren. Vermutlich während der Kampfhandlungen der napoleonischen Kriege wurde die Orgel beschädigt, die Instrumente abgenommen und nicht mehr an ihren ursprünglichen Platz gebracht. Diese Figuren und Zierelemente werden zurzeit in der Wrocławer Werkstatt hergestellt. Man muss rund 500 verschiedene Einzelteile fertigen, darunter 150 Ornamente und Figuren, Dekorelemente und acht mehrere Meter hohe Figuren. Sie werden zuerst im Modelliermaterial wiederhergestellt (kleinere in Knetmasse, größere Elemente in Ton auf Stahlgerüst), anschließend werden auf diesen Grundlagen Formen angefertigt, aus denen Gipsabgüsse entstehen. Mehrere dieser Gipsprototypen wurden in den Gebäuden der Stadtverwaltung Wrocław aufgestellt – so kann jeder die Effekte der Arbeit der Künstler und den Umfang des Projekts bewundern.
Als nächster Vorgang gilt die Wiedergabe der Skulpturen in Holz. Für ihre Fertigung verwendet man Lindenholz, das besonders weich, gleichzeitig sehr beständig ist. Aus diesem Holz baute Veit Stoß seinen berühmten Altar in der Marienkirche von Kraków. Die Skulpturen sind aus Blöcken gefertigt, die aus mehreren kleinen Stämmen zusammengeklebt sind, dadurch sind sie besonders resistent gegen Temperatur und Feuchtigkeit im Inneren der Basilika. Dieser Arbeitsvorgang findet gerade statt. Nach mehrmaliger Grundierung können die Skulpturen vergoldet werden. Im gesamten Prospekt müssen die Vergolder rund 400 Elemente mit 24-karatiger Goldschicht beschichten. Diese Menge der Vergoldungen auf dem ursprünglichen Instrument war ein Zeichen für die besondere Großzügigkeit seiner Stifter.
Zum Problem wurde auch das Fehlen jeglicher Angaben über die Farbgebung des Prospekts. Nach langwieriger Suche, auf der Grundlage von Analysen und Vergleichen mit erhaltenen Orgeln aus der Zeit, auch mit Orgeln aus evangelischen Kirchen, konnte ermittelt werden, dass diese mit dem Programm der Reformation in Verbindung stand, denn die Basilika war im 18. Jh. eine lutherische Kathedrale. Nach Bestätigung dieser Entdeckung anhand anderer Quellen wurde entschieden, dass die Fassung hellfarbig, in den Tönen: Cremeweiß, Beige, Hellblau und Weiß gehalten wird.
Die Rekonstruktion des Werks von Engler wird als das weltweit größte Wiederaufbauprojekt einer Orgel nach dem 2. Weltkrieg bezeichnet. Die Arbeiten in der Werkstatt in Wrocław kommen gut voran – von den 500 Elementen sind mittlerweile ein Viertel fertig. Gerade rekonstruiert wird die Wappenkartusche, die in der Achse der Orgel angebracht war. Der Tradition zufolge handelte sich dabei wohl um das Wappen wichtiger Stifter des Instruments. Es war überhaupt nicht mehr erkennbar, doch die Untersuchungen ergaben, dass es das Wappen der Familie von Rimmer und Rimberg war, der Hauptstifter der Orgel und so konnte seine endgültige Form wiederhergestellt werden. Der Schild besteht aus vier Feldern, in zwei hellblauen Feldern sieht man gekrönten Phönix mit Lorbeerzweig in der rechten Kralle, in den beiden anderen roten Feldern befindet sich nur die Kralle mit dem Zweig. Gearbeitet wird auch am Modell der Glorie mit Bleifenster, das einen dreieckigen Rahmen füllt. Darauf befindet sich das Tetragramm – vier hebräische Buchstaben, die den Eigennamen Gottes bedeuten.
Das ganze Unternehmen ist außerordentlich ambitioniert, doch der Wiederaufbau des Instruments ist eine Investition mit dem Ziel, der polnischen Kultur das Werk der vergangenen Zeiten wiederzugeben. Die einzelnen Schritte sind sehr arbeits- und zeitaufwändig. Im Juli-August 2020 soll der Unterbau des Instruments aus Eichenholz aufgestellt werden, auf ihm wird im September die Konstruktion der Orgel entstehen (im Zeitraum zwischen diesen beiden Vorgängen soll sich das Holz an die Bedingungen im Inneren der Kirche anpassen). Die feierliche Enthüllung der Orgel erfolgt im Herbst 2021.
Das Konsortium besteht aus drei Firmen:
Orgelbau Klais – Philipp Klais – Konsortialführer
Zuständig für die Elemente des Windwerks (Kanäle, Blasebälge, Kalkanten), Pfeifen, Elemente der Traktur (System zur Übertragung des Tastendrucks in die Bewegung der Ventile, die die komprimierte Luft in die Pfeifen ableiten) und die Intonation (eine Reihe von Vorgängen, die den einzelnen Pfeifen eine bestimmte Tonfarbe und Lautstärke verleihen sollen).
Manufacture d’Orgues Thomas
Rekonstruiert die Windlade – den wichtigsten Teil des Luftmechanismus der Orgel. Auf der Windlade sind nämlich alle Pfeifen des Instruments aufgestellt, die mit der dort gespeicherten Luft versorgt werden. Ist auch für die Intonation zuständig.
Zych Zakłady Organowe
Baut die Tragekonstruktion und das Gehäuse der Orgel.
Text & Bilder: www.wroclaw.pl – mit bestem Dank für die Genehmigung zum Abdruck in SILESIA News.