Vor 170 Jahren wurde in Texas der Ort Panna Maria gegründet
1854 verließ eine Gruppe oberschlesischer Bauern ihre Heimat in Richtung Amerika. Ihre Nachfahren leben dort bis heute.
Im September 1854 verließ eine Gruppe oberschlesischer Bauern ihre Heimat in Richtung Amerika. Die vorgefundene Realität war jedoch so weit von den Vorstellungen entfernt, dass der Initiator der Auswanderung um sein Leben bangen musste…
Der Ort Panna Maria wäre nie entstanden, wenn es den oberschlesischen Franziskaner Leopold Moczygemba bereits 1852 nicht nach Übersee verschlagen hätte. In den Briefen, die er an seine Verwandten und Bekannten in dem 30 km westlich von Gleiwitz (Gliwice) gelegenen Groß Pluschnitz (Płużnica Wielka) schrieb, pries der Seelsorger der deutschen Siedler in Texas die Verhältnisse in der Neuen Welt. Seine Worte fielen auf fruchtbaren Boden. Die Landbevölkerung in Oberschlesien war zum damaligen Zeitpunkt zwar schon frei, doch ihre materielle Situation blieb weiterhin schwierig, zumal die Region in den 1840er und 1850er Jahren von Naturkatastrophen und Epidemien heimgesucht worden war.
Stark müssen sowohl die Verzweiflung bei den Bauern als auch die Überzeugungskraft des Geistlichen gewesen sein. Denn schon im September 1854 wagten ca. 150 meist polnischsprachige Menschen aus dem Groß Strehlitzer und Gleiwitzer Land einen Sprung ins Ungewisse. Nach einer achtwöchigen Reise per Bahn und Schiff erreichte die Gruppe die Ufer des Golfes von Mexiko. Von dort ging es weiter zu Fuß in Richtung San Antonio. Etwa 50 Meilen von dieser Stadt befanden sich die Grundstücke, die Pater Moczygemba – wie sich später erwies – zu einem ungünstigen Preis für die Siedler erworben hatte.
Vor Ort erlebten die Auswanderer einen Schock. Was sie sich als fruchtbare Landschaft vorgestellt hatten, glich beinahe einer Wüste. Die klimatischen Bedingungen in einem Land, das auf der geographischen Breite von Ägypten liegt, unterschieden sich freilich von denen in der Heimat. Somit waren auch die landwirtschaftlichen Bedingungen völlig anders als in Oberschlesien. Auch wenn manch verzweifelter Siedler anfangs an eine Rückkehr dachte, war dies keineswegs realistisch, denn die Ausreisewilligen hatten vor der Auswanderung ihr gesamtes Vermögen verkauft. Ein Zurück gab es daher nicht mehr. Da die Grundstücke unbebaut waren, verbrachten die Siedler den ersten Winter in Erdhöhlen. Den Ort, dem sie den Namen Panna Maria also „Jungfrau Maria“ gaben, mussten sie erst selbst bauen. In der ersten Phase war die Stimmung dermaßen schlecht, dass Pater Moczygemba die Siedlung fluchtartig verließ, weil er eine Lynchjustiz befürchtete.
Wohl oder übel passten sich die Oberschlesier innerhalb relativ kurzer Zeit an die texanischen Bedingungen an. Aus Bauern wurden erfolgreiche Viehzüchter. Bereits einige Jahre nach der Auswanderung berichteten die Familien aus Panna Maria in den Briefen an ihre Verwandten in der Heimat, dass die anfänglichen Schwierigkeiten überwunden worden seien. Daraufhin folgten weitere Einwanderungswellen aus den Kreisen Groß Strehlitz, Gleiwitz und Oppeln (Opole), die die oberschlesische Gemeinschaft auf insgesamt etwa 2.300 Menschen wachsen ließen. Davon, dass die Gruppe agil und dynamisch gewesen sein muss, zeugt der Umstand, dass etwa 20 Jahre nach der Gründung von Panna Maria die Tochtersiedlung Cestohowa entstand. Ihr Name leitete sich von Tschenstochau (Częstochowa) ab, dem unweit der oberschlesischen Ostgrenze gelegenen wichtigen Pilgerort. Eine Gruppe polnischsprachiger Oberschlesier ließ sich zudem in dem von ihren deutschsprachigen Landsleuten gegründeten Ort St. Hedwig nieder.
Bis ins späte 20. Jahrhundert war der oberschlesische Dialekt die Umgangssprache von mehreren Familien in Panna Maria, Cestohowa und St. Hedwig. Auch heute leben noch in Texas Menschen, die Oberschlesisch als Muttersprache sprechen. In den 1970er Jahren gelang es auf Initiative des 2022 verstorbenen, aus einer Auswandererfamilie stammenden Bischof John Walter Yanta, nach jahrzehntelanger Isolation Kontakte mit Oberschlesien wiederherzustellen. Nach der politischen Wende von 1989 intensivierten sie sich noch zusätzlich durch private Bekanntschaften, so dass es 2005 zum Abschluss eines Partnerschaftsvertrags zwischen der texanischen Stadt Bandera und Groß Strehlitz kam.
Text: Dawid Smolorz