In Świdnica (Schweidnitz) und Umgebung ist Manfred Freiherr von Richthofen bekannt – und umstritten
Seine Legende wird dennoch im regionalen Marketing eingesetzt.
Außer der Friedenskirche (UNESCO-Welterbe ) und der schönen Altstadt mit dem Ring und den malerischen Bürgerhäusern, versucht die niederschlesische Stadt Świdnica (Schweidnitz) auch noch andere Anziehungspunkte für Touristen zu finden. Zu ihnen gehört der „Rote Baron“, d. i. Manfred Albrecht Freiherr von Richthofen (1892-1918), deutscher Offizier und Jagdflieger im Ersten Weltkrieg.
Man ist aber in einem gewissen Zwiespalt. Einerseits ist die Gestalt sehr bekannt – Manfred Freiherr von Richthofen ist schon zu Lebzeiten eine Legende geworden. Andererseits weckt sie immer wieder gemischte Emotionen – er war ein Deutscher im Ersten Weltkrieg und hat als einzelner Pilot 80 Flugzeuge abgeschossen. Das Thema ist kontrovers und wird von teils heftigen Diskussionen begleitet. Vielleicht deshalb wurde Richthofen nicht zum Ehrenbürger der Stadt ausgewählt. Man entschied sich für Maria Cunitz, die berühmte Astronomin des 17. Jahrhunderts, die keine Kontroversen weckt.
In Świdnica findet man jedenfalls viele Spuren, die sich auf den berühmten Jagdflieger beziehen: seine Villa, in der er einige Jugendjahre verbrachte, einen alten Gedenkstein aus der Vorkriegszeit, eine neue Bronzetafel, einen rekonstruierten Fokker-Dr.I-Dreidecker. In der nicht weit von Świdnica gelegten Brauerei Jedlinka (Tannhausen) wird das Bier „Red Baron“ produziert. Es werden auch viele Souvenirs hergestellt, die sich auf den Helden des Ersten Weltkrieges beziehen. Wird dadurch der „Rote Baron“ den Einwohnern vertrauter?
Der Lebensweg der Legende
Manfred Freiherr von Richthofen wurde am 2. Mai 1892 in Kleinburg (Borek), damals Vorort von Breslau (Wrocław) geboren. Sein Elternhaus stand an der Kreuzung Goethestraße und Kaiser-Wilhelm Straße (heute ulica Wielka / Powstańców Śląskich). Das Haus wurde während des Zweiten Weltkrieges zerstört. Die ersten Lebensjahre verbrachte der kleine Manfred auf dem Gut Schloss Romberg (Samotwór), das seinen Großeltern gehörte. Das Gut wurde wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten verpachtet und schließlich verkauft. Noch vor kurzem funktionierte in dem Schloss ein kleines Hotel, seit einiger Zeit ist es geschlossen.
Im Jahre 1901, nach der Pensionierung seines Vaters, zogen die Richthofens nach Schweidnitz 50 km südöstlich von Breslau. Die Familie wohnte in der Striegauer Straße 10 (heute ulica Władyslawa Sikorskiego 19) in einem großen schönen Haus mit drei Stockwerken. Das Haus steht bis heute, ist aber von vielen Familien bewohnt und leider vernachlässigt. 2022 wurde es in die Liste der denkmalgeschützten Bauten eingetragen, so dass die in Zukunft geplanten Arbeiten mit dem Denkmalschutz abgestimmt werden müssen. Im Garten des Hauses, wo der kleine Manfred mit seinen Brüdern Lothar und Bolko und seiner Schwester Elisabeth sowie Kindern aus anderen Adelsfamilien spielte, befindet sich der originale Gedenkstein aus der Vorkriegszeit und eine neue Bronzetafel. Die Einwohner der Villa haben sich schon daran gewöhnt, dass immer wieder jemand in ihren Garten reinschaut…
Rechts: Die neue Bronzetafel an der Villa Richthofens in Świdnica.
Gegenüber der Villa befindet sich ein Park (Park Sikorskiego), in dem vor dem Zweiten Weltkrieg eine große Richthofen-Gedächtnisstätte stand. Von ihr sind heute nur einige Reste geblieben, aber die Stadt Świdnica entschied sich die Erinnerung an den „Roten Baron“ auf eine andere Art und Weise wach zu halten. Mitten im Park wurde eine Replik von seinem Fokker-Dr.I-Dreidecker in Originalgröße aufgestellt.
Als Manfred das schulpflichtige Alter erreichte, meldete ihn sein Vater an der Evangelischen Mittelschule an, deren Gebäude sich heute in der ulica Franciszkańska befindet (aktuell Sitz des Städtischen Sozialhilfezentrums MOPS). In den Fluren, die an den üblichen Arbeitstagen jedem zugänglich sind, kann man die alten Fotos des Gymnasiums und ein besonders schönes Glasfenster mit der Wartburg sehen. Es wurde anlässlich des 200. Jubiläums der Schule gemacht (die Schule befand sich ursprünglich bei der evangelischen Friedenskirche).
Auf Wunsch des Vaters ging Manfred im Alter von 11 Jahren auf die Kadettenanstalt Wahlstatt an der Katzbach bei Liegnitz (Legnickie Pole bei Legnica). Er lernte nicht besonders fleißig, nur so viel, wie er brauchte, wie er selbst in seinen Memoiren schrieb. Was ihn wirklich interessierte, war Sport. Am meisten gefielen ihm Turnen, Fußball und alle Unterhaltungsmöglichkeiten außerhalb der Schulmauern, und diese Interessen führten dazu, dass er zahlreiche Auszeichnungen erhielt. Sechs Jahre später ging er nach Berlin, wo er von 1909 und bis 1911 die Hauptkadettenanstalt Lichterfelde besuchte. Nach seinem Abschluss im Jahr 1911 trat er als Fähnrich in das Ulanen-Regiment Nr. 1 ein. Zunächst diente er in der Garnison in Militsch (Milicz), dann im Geschwader in Ostrowo (Ostrów Wielkopolski). Und dort fand ihn der Große Krieg vor. Ein Wendepunkt in seinem Leben bildete das Treffen mit Oswald Boelcke, einem Kampfpiloten, dessen Flugleistungen an der Front berühmt waren. Die Begegnung hat ihn angeregt, denselben Weg zu gehen und den ähnlichen Ruhm zu erlangen. Und so geschah es auch.
Ewige (Un)Ruhe an vielen Orten
Zum Zeitpunkt seines Todes war Manfred von Richthofen erst 26 Jahre alt und hatte 80 Siege auf seinem Konto. Er wird zu den herausragenden Jagdpiloten in der Welt gezählt. Er wurde am 21. April 1918 wahrscheinlich vom Sergeant Cedric Popkin abgeschossen. Richthofen wurde am 22. April 1918 in Bertangles beerdigt. Fünf Jahre später wurde er auf Veranlassung der französischen Militärbehörden auf die Deutsche Kriegsgräberstätte Fricourt umgebettet. Die Familie wollte die Gebeine in die Heimat zurückführen und sie auf dem Friedhof in Schweidnitz, wo sein Vater und sein jüngerer Bruder Lothar lagen, bestatten. (Gut, dass es nicht dazu kam – der Friedhof in Schweidnitz wurde 1973 eingeebnet. Hier befindet sich heute ein Park.) Das Reichswehrministerium überzeugte die Familie, die Umbettung nach Berlin zu veranlassen. Der Rote Baron ruhte hier bis 1961 auf dem Invalidenfriedhof. Als der Bau der Berliner Mauer begann und es zum Ausbau der Grenzanlagen kam, sollte das Grab von Richthofen planiert werden. Seiner Familie wurde gestattet, das Grab umzusetzen. Richthofens sterbliche Überreste ruhen seither im Familiengrab auf dem Südfriedhof Wiesbaden – wo sich auch das symbolische Grab des polnischen Schriftstellers Marek Hłasko befindet.
Text & Bilder: Małgorzata Urlich-Kornacka