In Waldenburg fanden Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag der Eingliederung der West- und Nordgebiete in Polen statt
Teilgenommen haben Ministerpräsident Donald Tusk, die Präsidenten des Sejm und des Senats, Minister sowie zahlreiche Kommunalpolitiker.
Die zentralen Feierlichkeiten zum 80. Jahresjubiläum der Eingliederung der westlichen und nördlichen Gebiete in Polen fanden im niederschlesischen Waldenburg (Wałbrzych) statt. Teilgenommen haben Ministerpräsident Donald Tusk, die Präsidenten des Sejm und des Senats, Minister sowie zahlreiche Kommunalpolitiker aus mehreren Dutzend Städten teil. Die Nobelpreisträgerin für Literatur, Olga Tokarczuk, hielt eine vielbeachtete Rede. Die Feierlichkeiten standen unter dem Motto „Hier ist Polen!” (Tu jest Polska!). Die Hauptveranstaltung fand am 15. Dezember im Wissenschafts- und Kunstzentrum Stara Kopalnia (Alte Grube) in Wałbrzych statt. Auf dem Gelände war auch eine Fotoausstellung mit Stadtansichten zu sehen.


Zunächst sei erklärt, dass sich der Begriff „West- und Nordgebiete” auf die Gebiete des heutigen Polens bezieht, die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund einer Entscheidung der Großmächte dem Land angegliedert wurden. Bildlich gesprochen wurde das Land damals nach Westen „verschoben”. Das bedeutet, dass Polen gleichzeitig seine ehemaligen Ostgebiete verlor. In der Volksrepublik Polen galt der Begriff „Ziemie Odzyskane” (Wiedergewonnene Gebiete), der stark von Propaganda geprägt war. Heute wird eher ein Begriff mit geografischem Charakter (West- und Nordgebiete) verwendet.
Mit den Piasten in die Zukunft
Der wichtigste Teil der Veranstaltung in Wałbrzych war die Rede von Premierminister Donald Tusk. Er betonte die Bedeutung der westlichen und nördlichen Gebiete in der Geschichte Polens. Umso mehr, als in diesem Jahr auch der 1000. Jahrestag der polnischen Krone begangen wird. „Hier wird die Bedeutung des Piasten-Erbes am deutlichsten sichtbar. Hier wurde Polen geboren, auf diesen Gebieten, hier haben die Piasten, Bolesław Chrobry, den stolzen Weg vorgezeichnet, dem wir heute folgen”, sagte er und fügte hinzu: „Nur ein stolzes und starkes Volk, und genau das sind die Polen heute, kann ohne Bedenken Teil der großen Gemeinschaft des Westens, der europäischen Zivilisation, sein.” Er verwies auch auf die Zeit des Wiederaufbaus, deren Erinnerung noch immer lebendig ist, und betonte, wie außerordentlich sich Polen in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Tusk: „Wir haben es nicht nur geschafft, unser Land wieder aufzubauen, sondern wir sind auch in der Lage, die Zukunft zu gestalten.
Während der Feierlichkeiten wurde ein Dokument mit dem Titel „Deklaracja Piastowska” (Piasten-Erklärung) unterzeichnet. Dieses Dokument betont, dass Polen in der Zeit der Piasten Teil einer größeren europäischen Gemeinschaft wurde. Ähnlich verhält es sich heute, und die Europäische Union muss als Stärkung und nicht als Bedrohung betrachtet werden. Die Erklärung besagt auch, dass Freiheit nicht für immer gegeben ist und dass der Aufbau einer guten Zukunft Verantwortung erfordert. Das Dokument soll eine Art Wegweiser für die Selbstverwaltungen der westlichen und nördlichen Gebiete sein.


Eine offene und suchende Identität
Olga Tokarczuk erzählte, wie sich die Identität der Bewohner dieser Gebiete entwickelt hat und wodurch sie sich auszeichnet. Sie hat viele biografische Elemente in diese Geschichte eingeflochten. Sie wurde in Sulechów (Züllichau) geboren, also am nördlichen Rand des historischen Schlesiens, lebte dann mit ihren Eltern in Klenica (Kleinitz) in der Region Lubuskie und später in Kietrz (Katscher) in Oppeln. Heute lebt sie in der Nähe von Nowa Ruda (Neurode). Sie erinnerte sich unter anderem daran, dass ihre Kinderfrau eine Einheimische war – sie hieß Gertruda und sprach nur schlecht Polnisch. „Und doch liebte ich sie bedingungslos. Dank ihr aß ich in meiner Kindheit Kürbissuppe und ein besonderes Gericht, das, wie ich später herausfand, Schlesisches Himmelreich hieß”, erzählte sie.
Sie plädierte für eine lebendige Erinnerung an Menschen aus der Zeit vor 1945: „Da wir sowohl im Raum als auch in der Zeit leben, lässt sich die Vergangenheit unserer Orte nicht ignorieren. Um ein Gefühl von Sinn und Kontinuität zu haben, müssen wir auch die Erinnerung an die Arbeit und die Anstrengungen der Menschen, die vor uns hier gelebt haben, in unsere eigene Erfahrung einfließen lassen, unabhängig davon, welche Sprache sie sprachen und zu welchen staatlichen Strukturen sie gehörten. In kultureller und spiritueller Hinsicht sind auch sie unsere Vorfahren.“


Als sie über die Identität der heutigen Einwohner sprach, wies sie darauf hin, dass diese unabhängig – oder besser gesagt: entgegen – den Bemühungen der Propaganda entstanden sei und nicht das Ergebnis eines politischen Programms sei. „Diese Mischung aus Völkern, die nach dem Krieg in die westlichen Gebiete gekommen sind – dieser Schmelztiegel aus Sprachen, Kulturen, Religionen und Mentalitäten – hat in tiefgreifenden Prozessen des kollektiven Bewusstseins eine eigene Identität entwickelt. Abgeneigt und müde von der politischen kommunistisch-nationalistischen Propaganda”, erklärte sie. Sie betonte, dass es sich um eine „befreiende” Identität handele, die nicht in starren Formen oder Rahmen gefangen sei, sondern ständig andere Wege, Modelle, Modi und Formen des Daseins erforsche: – Dadurch wird sie zu einer Identität, die sucht und auch Neues, Unbekanntes und Anderes in sich verkörpert. Ihr Wesen ist eine intelligente, aber auch mutige Veränderung. Heute haben wir die Gelegenheit, uns in Ruhe zu fragen, was diese 80 Jahre der jüngsten Geschichte waren, was wir aufgebaut haben und was wir verlieren mussten. Und wer wir sind”, fasste die Nobelpreisträgerin zusammen.
Mehr Geld für Denkmäler?
In Wałbrzych kündigten sowohl der Ministerpräsident als auch die Ministerin für Kultur und nationales Erbe an, dass im Staatshaushalt die Mittel für den Schutz von Denkmälern in den westlichen und nördlichen Gebieten aufgestockt werden sollen. Dies ist besonders wichtig für Niederschlesien, wo sich jedes vierte Denkmal des heutigen Polens befindet. Wird es eine proportionale Aufteilung geben? Darauf kann man kaum hoffen, aber wenn die Ankündigungen umgesetzt werden, könnte das Geld für diesen Zweck sogar 6-7 Mal höher sein als derzeit (derzeit sind es 2 Millionen Złoty pro Jahr). Und das wäre eine sehr wichtige Veränderung.
Text: Sławomir Szymański
Fotos: Facebook-Seite Wałbrzych Moje Miasto
