Mikrokosmos Roßberg
Unter den traditionsreichen Orten des oberschlesischen Industriegebietes nimmt Roßberg (Rozbark) aus mehreren Gründen eine besondere Stellung ein.
Unter den traditionsreichen Orten des oberschlesischen Industriegebietes nimmt Roßberg (Rozbark) aus mehreren Gründen eine besondere Stellung ein. Eine erwähnenswerte Besonderheit ist auch die im Bild des heutigen Stadtteiles von Beuthen (Bytom) dominierende St. Hiazynthkirche.

Die Kirche ist nicht nur architektonisch beeindruckend, sondern birgt auch in ihrem Inneren interessante Relikte der jahrhundertelangen deutsch-slawischen Koexistenz. Bemerkenswert ist schon die Lage Roßbergs. Obwohl sich das ehemalige Dorf buchstäblich vor den Toren der Stadt Beuthen befand, behielt es bis ins 19. Jahrhundert seinen ländlichen Charakter und bis 1927 seine administrative „Unabhängigkeit“. Wohl auf die klare Trennung zwischen der Stadt und dem Dorf ist auch die Entstehung einer starken lokalen Identität zurückzuführen, die sich einigermaßen in der Opposition zu Beuthen entwickelte. Mit Stolz trugen manche Roßberger noch bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts auch im Alltag die charakteristische Tracht. Auch heute wird sie, vor allem anlässlich wichtiger kirchlicher Feiertage, von einigen einheimischen Familien getragen.


Zwischen Beuthen und Roßberg verlief auch in einem gewissen Sinne die Sprachgrenze. Denn über mehrere Jahrhunderte hinweg waren die Stadteinwohner überwiegend deutschsprachig. Die Sprache der Roßberger Bauern war dagegen der slawisch-oberschlesische Dialekt. Unterschiedlich fiel auch das Ergebnis der Volksabstimmung von 1921 aus, in der sich die Bevölkerung Oberschlesiens zur künftigen staatlichen Zugehörigkeit ihrer Heimatregion äußerte. Während die Beuthener mit fast 75 Prozent eindeutig für den Verbleib beim Reich votierten, stimmten 54 Prozent der Roßberger für den Anschluss an den nur drei Jahre zuvor wiedererstandenen polnischen Staat. Da eine Trennung der praktisch zusammengewachsenen Orte nicht mehr möglich war, verblieben beide – das zum damaligen Zeitpunkt schon weitgehend verstädterte Roßberg wie die benachbarte Stadt – bei Deutschland. Mit der Eingemeindung von 1927 wurde die de facto bestehende Einheit zwischen der Stadt und dem früheren Dorf, damals schon Industrieort, auch rechtlich besiegelt.


Seit dem Abriss großer Teile der Heinizgrube, des späteren Bergwerks „Rozbark“, in den frühen 2000er Jahren ist die 1911 eingeweihte St. Hiazynthkirche das imposanteste Gebäude des Stadtteiles. Vorbild für das Gotteshaus, das sich durch den für oberschlesische Verhältnisse relativ seltenen neoromanischen Stil auszeichnet, war die mittelalterliche Kathedrale in Limburg an der Lahn. Untypisch ist zudem der Umstand, dass das Objekt in einem gewissen Sinne als zweigeschossig bezeichnet werden könnte. Denn die großräumige St. Josef-Krypta, die sich unter der „regulären“ Kirche befindet, bildet praktisch ein separates Gotteshaus – die sog. Unterkirche. Der vor einigen Jahren sorgfältig restaurierte Innenraum besticht durch die Fülle der Farben und üppige Wandmalereien. Bemerkenswert sind überdies die an mehreren Stellen erhaltenen zweisprachigen deutsch-polnischen Inschriften. Sie überdauerten sowohl die Herrschaft der deutschen Nationalsozialisten als auch der polnischen Kommunisten und sind heute ein Zeugnis des überwiegend friedlichen Zusammenlebens der deutsch- und polnischsprachigen Oberschlesier.

Text: Dawid Smolorz