Klein-Athen in Tschechisch-Schlesien

Ende der 1940er Jahren nahm die Tschechoslowakei, wie einige weitere Ostblockstaaten, politische Flüchtlinge aus Griechenland auf

Viele fanden in den schlesischen Landesteilen ein neues Zuhause.

Auch nach dem Ende des Bürgerkrieges 1949 herrschte in Griechenland kein Frieden. Mindestens 65.000 Angehörige und Sympathisanten der besiegten linken Volksfront verließen ihre Heimat, um den Repressalien der konservativen Regierung in Athen zu entgehen. Etwa ein Viertel der Exilanten kam in die Tschechoslowakei. Dass viele von ihnen im Raum Jägerndorf (Krnov), Zuckmantel (Zlate Hory) und Freiwaldau (Jesenik) angesiedelt wurden, mag nicht wundern – waren diese Gebiete doch bis 1945 fast ausschließlich von den Deutschen besiedelt gewesen und blieben nach deren Vertreibung zum Teil entvölkert. Allein in Jägerndorf ließen sich 3.000 Griechen nieder. Mit 15 Prozent wies der Ort den höchsten Anteil der griechischen Bevölkerung von allen Städten des Landes auf. In diesem Zusammenhang erhielt er in den frühen 1950er Jahren den Beinamen „Klein-Athen“.

Ein mit griechischen Fahnen dekoriertes Haus in Roßwald (Slezské Rudoltice) in Tschechisch-Schlesien. Quelle: Kamil Czaiński, Wikimedia Commons.

Auch in den Gegenden, wo sie in größeren Gruppen lebten, haben sich die griechischen Migranten gut integriert. Vor allem in den Städten war der Kontakt mit der Mehrheitsbevölkerung intensiv, doch bewahrten die Migranten gleichzeitig ihre Identität. Auch in der kommunistischen Zeit waren in der Tschechoslowakei griechische Organisationen tätig und den Kindern der Exilanten wurden als Ergänzung zum obligatorischen Lehrprogramm sog. „griechische Schulen” angeboten, wo sie ihre Muttersprache pflegen konnten. Die Partei und der Regierung unterstützten solche Maßnahmen, da sie nicht eine ethnische, sondern eine politisch-ideologische Assimilation der Einwanderer anstrebten.

Denkmal „70 Jahre griechische Einwanderung in das Freiwaldauer Land“. Quelle: Kamil Czaiński, Wikimedia Commons.

Obwohl die Tschechoslowakei „ihren“ Griechen für die Verhältnisse des Ostblocks relativ gute Lebensbedingungen schuf, war bei den Exilanten verständlicherweise der Wunsch nach Heimkehr groß. Jedes neue Jahr begrüßte man in der Hoffnung, dass es nun endlich möglich sein wird, in die Heimat zurückzukehren. Die Situation änderte sich aber erst Mitte der 1970er Jahre, als Griechenland nach jahrzehntelangen Umwälzungen ein demokratisches Land wurde und die einstigen politischen Flüchtlinge keine Repressalien mehr zu befürchten hatten.

Denkmal für die griechischen Bürger von Jägerndorf (enthüllt 2005). Quelle: Kamil Czaiński, Wikimedia Commons

Die Rückwanderung dauerte bis in die frühen 1990er Jahre, betraf aber nur einen Teil der griechischen Bevölkerung. Schätzungsweise entschloss sich ein Viertel der in Tschechien lebenden Griechen, in der neuen Heimat zu bleiben. In mehreren Städten des Landes, unter anderem auch in Schlesien (Jägerndorf, Freiwaldau, Karwin/Karvina, Ostrau/Ostrava) gibt es auch heute Organisationen der griechischen Volksgruppe. Und im öffentlichen Leben der Tschechischen Republik waren bzw. sind mehrere in Schlesien geborene oder aufgewachsene Griechen vertreten, um den Schauspieler Kostas Zerdaloglu (geb. 1953 in Freiwaldau), den ehemaligen tschechischen Fußball-Nationalspieler Michal Papadopulos (geb. 1985 in Ostrau), die Politikerin Jana Michailidu (geb. 1990 in Karwin) oder den 2015 verstorbenen Unternehmer Kostas Samaras aus Jägerndorf zu nennen, der zu Beginn des 21. Jahrhunderts den legendären Softdrink „Kofola“ wiederbelebt hat.

Text: Dawid Smolorz