Eine Heldin in schweren Zeiten

Zur polnischen Ausgabe der Tagebuchaufzeichnungen der Schwester Hildelita Maria Troska, der Sakristanin des Breslauer Doms in den Jahren 1940 bis 1969

Buchbesprechung von Norbert Pietsch.

Vor wenigen Monaten dieses Jahres veröffentlichte die erzbischöfliche Buchhandlung „TUM“ in Wrocław (Breslau) das zufällig aufgefundene Tagebuch der Armen Schulschwester des Klosters „Unserer Lieben Frauen“ Sr. Hildelita Maria Troska (1899-1970). Die 170 Seiten der Ausgabe mit dem Titel „Kwiaty pośród bomb“ (Blumen zwischen Bomben) sind für den polnischen Leser eine umfassende Schilderung der Kriegsjahre Breslaus besonders zur Zeit der „Festung Breslau“ sowie der Zeit danach unter den veränderten Bedingungen im städtischen und kirchlichen Leben des nun polnischen Wrocław.

Schwester Hildelita ist als Deutsche im niederschlesischen Groß-Wartenberg (jetzt Syców) nahe der deutsch-polnischen Grenze geboren. Bereits in jungen Jahren trat sie dem Orden bei und lebte als Novizin in verschiedenen Niederlassungen ihrer Kongregation. Dabei erlangte sie die pädagogische Ausbildung als Kindergärtnerin und Religionslehrerin, was auch dem Profil der von ihr erwählten Ordensberufung entsprach. Im Jahre 1940 berief sie der Erzbischof Adolf Kardinal Bertram zum verantwortungsvollen Dienst als Sakristanin des St. Johannes Doms zu Breslau. Ihr oblag die Pflege sowie die Bereitstellung des für den Gottesdienst notwendigen umfangreichen Paramentenfundus und der liturgischen Geräte. Nicht zuletzt kleidete sie die Schar der Ministranten für den Messdienst an. Sie brachte ihnen auch die damals üblichen lateinischen Antworten nach dem Messbuch bei.

Sr. Hildelita Maria Troska

Dem Autor dieser Zeilen (Jahrgang 1937) und seinem jüngeren Bruder wie auch unseren Eltern war Sr. Hildelita sehr gut bekannt und hochgeschätzt, wohnte doch unsere Familie in einer kirchlichen Einrichtung in unmittelbarer Nähe der Domkirche.

Meine Erinnerungen gingen beim Lesen des Tagebuchs besonders in die Jahre 1945/46 zurück, und das nicht ohne innere Bewegung. In den letzten Monaten des Jahres 1944 und das Frühjahr 1945 zeigten sich die ganze Härte und Grausamkeit der nazistischen Kriegsführung. Sie gingen am Dom und seinen Institutionen nicht spurlos vorüber. War es zuerst die notwendige Sicherung der Schätze in weniger gefährdete Gebiete des weiten Umfelds, in der Krypta des Doms oder den Kellerräumen der bischöflichen Kurie, so hinterließ die durch die Nazis erzwungene Evakuierung der Zivilbevölkerung ihren Eindruck auf das kirchliche Leben. So berichtet die Sakristanin von Verzweiflungstaten Einzelner oder dem Besuch einer Gruppe junger Wehrmachtssoldaten unter Führung ihres Offiziers, der seinen Soldaten den Hinweis gab, welche Schätze es da gilt „zu verteidigen“. Sr. Hildelita erlebte die Bombardierung der Stadt zu Ostern 1945, die fast vollständige Zerstörung des Hauptschiffes der Domkirche und so vieler Gebäude der Innenstadt und der östlichen Vororte.

Wie geistliche Zeitzeugen berichten, scheute Hildelita sich nicht, die Toten aus dem Trümmerschutt zu bergen und zu beerdigen, also Arbeiten zu verrichten, vor denen sich mancher Mann gescheut hätte. Sie erlebte den Einmarsch der Roten Armee und berichtet von Plünderungen und Gewalttaten einer im Siegesrausch entfesselten Soldateska. Ihr schwarzes Ordenskleid tauschte sie mit der grauen Tarnkleidung und Schwesternhaube aus. So erlebte ich sie nach Kriegsende, als sie mit anderen Überlebenden der Festung Breslau – diese auch der bescheidenen, aber notwendigen Lebensmittel wegen – bei der Beseitigung der Trümmer und der Sicherung der erhalten gebliebenen Kapellen mitwirkte. Dabei wagte sie, die ruinierten Gewölbe zu besteigen, um notdürftig die verschont gebliebenen sakralen Räumlichkeiten mit ihren Dächern vor Witterungsunbilden zu schützen. Mannhaft spürte sie Plünderer aus Verstecken in und außerhalb der Kirche auf und verwies sie des Ortes.

Wenn auch der Großteil der deutschen Einwohner, gleichfalls Ordensleute und Geistliche, aus Breslau und den deutschen Ostgebieten vertrieben wurden, so erklärte die Schwester ihren geistlichen Vorgesetzten die Absicht, weiterhin auch unter den veränderten Bedingungen ihrer Berufung als Sakristanin „bis zu ihrem Tode“ nachzugehen. Die neuen polnischen Administratoren der Erzdiözese anerkannten ihren selbstlosen Einsatz als Ordensfrau zum Schutze „ihrer“ Domkirche und ihrer sakralen wie baulichen Werte. Das musste selbst der später von Warschau eingesetzte „patriotische“ und regierungstreue, ehrgeizige geistliche Administrator, dem es um die Erfüllung staatlicher Auflagen ging, einsehen: Eine Deutsche, zwar mit dem polnisch-slawischen bürgerlichen Namen Troska, aber mit nur bescheidenen polnischen Sprachkenntnissen ausgestattet, war in ihrem Dienst und ihrer Umsicht schwer zu ersetzen.

Was brauchte auch eine solche Frau in ihrem Amt viele Worte, um die Anweisungen der Geistlichkeit für die gottesdienstlichen Belange zu befolgen? Einige der Herren zitieren mit gewisser, aber wohlgesinnter Ironie markante Sätze.

Der Herausgeber des Tagebuchs der Schwester Hildelita, der Direktor des Erzbischöflichen Museums zu Wrocław, Professor und Priester Józef Pater, erachtet das Buch für den Leser der heutigen Stadt und der Domgemeinde als wichtiges, authentisches Dokument eines Zeitabschnitts deutscher und polnischer Geschichte. Es steht ebenbürtig zu dem in den 1980er Jahren erschienenen Tagebuch des Pfarrers der St. Mauritiusgemeinde, Erzpriester Paul Peikert, mit dem Titel „Festung Breslau“. Dazu gibt die Ausgabe wertvolle und umfassende Auskünfte mit Hilfe von Fußnoten zu Personen, Ortsbezeichnungen (in Deutsch und Polnisch) und wichtigen zeitlichen Ereignissen der späteren Zeit. Neben der Übersetzung der deutschen Tagebuchnotizen ins Polnische durch das Paderborner Ehepaar Sternik und einer weiteren fachlichen Beratung ist die Mitarbeit des kürzlich verstorbenen Archivars Dr. W. Töpler vom bischöflichen Ordinariat Görlitz als Verwalter des computergestützten deutschen Materials hervorzuheben.

Für den deutschen Leser wäre die deutsche Herausgabe von „Kwiaty pośród bomb“ eine wertvolle Kenntnisbereicherung und Würdigung der deutschen Ordensschwester Hildelita Maria Troska.

„Kwiaty pośród bomb“, Verlag TUM-Wydawnictwo Wrocławskiej Księgarni Archidiecezjalnej, 2022

Text: Norbert Pietsch
Köthen, im Oktober 2022