August Heinrich Hoffmann von Fallersleben und die Volkslieder aus Schlesien

Schlesisches Museum zu Görlitz erhielt kostbare Erstausgabe polnischer Volkslieder aus Oberschlesien

Hoffmann von Fallerslebens Freund Julius Roger hat die Texte und Melodien der Volkslieder gesammelt.

Ein Freund des Schlesischen Museums hat diesem kurz vor Weihnachten ein besonderes Geschenk gemacht: eine Erstausgabe der „Ruda“, einer Sammlung polnischer Volkslieder aus Oberschlesien, ins Deutsche übertragen und 1865 herausgegeben von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874).

Das schmale, in Leinen gebundene Bändchen wurde aus dem Nachlass von Hoffmanns Sohn Franz erworben und stammt wohl ursprünglich aus der Bibliothek des Autors und Herausgebers. Einige Randvermerke lassen vermuten, dass es sich um Hoffmanns eigenes Handexemplar handelt. Das Buch ergänzt auf willkommene Weise Schriften des Dichters des „Liedes der Deutschen“ aus dessen schlesischer Periode im Besitz des Museums: eine Erstausgabe der (deutschen) „Schlesischen Volkslieder“ von 1842 und Aktenstücke über seine im gleichen Jahr erfolgte Entlassung durch die preußische Regierung, die er selbst öffentlich gemacht und herausgegeben hat.

Fast zwanzig Jahre lebte Hoffmann von Fallersleben in Breslau. 1823 hatte er eine Stelle als Kustos der Universitätsbibliothek angenommen, 1830 wurde er zum außerordentlichen, 1836 zum ordentlichen Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität berufen. In seinen Breslauer Jahren machte er sich verdient um die Erforschung der schlesischen Literatur, Mundart und volkstümlichen Überlieferung, eines für Schlesien damals wissenschaftlich noch kaum beackerten Feldes. Er setzte sich mit den schlesischen Dichtern des Barock auseinander, trieb sprachgeschichtliche Studien über den deutschen Dialekt und die Verbreitung der slawischen Sprache in Schlesien und sammelte systematisch Volkslieder. Seine „Schlesischen Volkslieder“ umfassen 300 Lieder aus Nieder- und Oberschlesien, zumeist mit ihren Melodien, eine Pionierleistung auf dem Gebiet der schlesischen Volkskunde. In der Breslauer Gesellschaft erregte der politisch unangepasste, gesellige und sangesfreudige Mann Aufsehen. Er bildete den Mittelpunkt eines Kreises freidenkender Künstler und Literaten, gründete Vereine und entfachte Debatten über Kunst, Literatur und Politik. Jäh kam sein Wirken 1842 zu Ende. Hoffmann wurde wegen seiner im Vorjahr erschienenen „Unpolitischen Lieder“ und seiner darin zum Ausdruck kommenden radikalliberalen Haltung von der preußischen Regierung seines Amtes enthoben. Ihm wurde die preußische Staatsbürgerschaft aberkannt, er musste Breslau verlassen, es folgten lange Wanderjahre ohne feste Stellung.

Im letzten Lebensabschnitt kam Hoffmann erneut in enge Verbindung mit Schlesien. 1860 war er in den Dienst Herzog Viktors von Ratibor getreten, freilich nicht am Hauptsitz des Herzogs im oberschlesischen Rauden (Rudy), sondern in dessen rund 800 km westlich gelegener westfälischer Besitzung Corvey. Dort leitete er die Schlossbibliothek und konnte ungestört seinen wissenschaftlichen und poetischen Interessen nachgehen.

Bei Besuchen in Oberschlesien als Gast des Herzogs lernte Hoffmann den herzoglichen Leibarzt Julius Roger (1819-1865) kennen und schloss Freundschaft mit ihm. Der Schwabe Roger kümmerte sich um die medizinische Versorgung der Untertanen des Herzogs und setzte sich leidenschaftlich für die gesundheitlichen und sozialen Belange der überwiegend polnischsprachigen Bevölkerung ein. In Rybnik gründete er ein Hospital, das heute wieder seinen Namen trägt; das Krankenhaus Rauden erhielt einen Neubau. Neben der Medizin hatte er weitgespannte Interessen: Als Entomologe entdeckte und beschrieb er über 400 in Oberschlesien vorkommende Käferarten. Als Volkskundler faszinierten ihn die Lieder der Landbevölkerung. Vierzehn Jahre lang durchstreifte er die Dörfer Oberschlesiens und sammelte Volkslieder. Wegen seines sozialen Engagements, vor allem aber wegen seiner Verdienste um die volkstümliche Überlieferung hat Julius Rogers Name in Oberschlesien auch heute noch einen guten Klang. In Gleiwitz (Gliwice), Ratibor (Racibórz) und Zabrze sind Straßen nach ihm benannt.

Hoffmann ermutigte den Freund zur Fortsetzung und zur Publikation seiner Volksliedsammlung. Er beschaffte ihm Literatur zu Volksliedern aus Polen und anderen slawischen Ländern und stellte den Kontakt zum Breslauer Buchhändler Hugo Skutsch her, in dessen Verlag Rogers Sammlung 1863 unter dem Titel „Pieśni Ludu Polskiego w Górnym Szląsku z musyką“ (Lieder der polnischen Bevölkerung in Oberschlesien, mit Melodien) erschien.

Das Buch umfasste 546 Lieder mit beinahe 300 Melodien. Zunächst ohne weitere Absichten, dann immer zielstrebiger ging Hoffmann daran, die Lieder ins Deutsche zu übersetzen. Gemeinsam mit Roger traf er eine Auswahl, Roger fertigte wörtliche Prosaübersetzungen an und Hoffmann, der des Polnischen nicht mächtig war, schuf daraus Nachdichtungen, die auf dieselben Melodien zu singen waren wie die polnischen Texte. Es war ein Bestand von 25 Liedern erreicht, als Roger am 7. Januar 1865 plötzlich starb und das Projekt abgebrochen werden musste. Noch im selben Jahr veröffentlichte Hoffmann die kleine Sammlung unter dem Titel „Ruda. Polnische Volkslieder der Oberschlesier“.

In seinem Nachwort, das dem Gedenken des verstorbenen Freundes gewidmet ist, zitiert Hoffmann zustimmend Rogers Absicht, er wolle mit seiner Liedersammlung dazu beitragen, „die Nebel der Vorurtheile, welche über dem polnischen Volke Oberschlesiens und seiner Sprache gelagert sind, wenigstens einigermaßen zu zerstreuen“. Hoffmann, der sich in seiner Vaterlandsliebe schwerlich übertreffen ließ, hat das polnische Element in der schlesischen Kultur und Geschichte nie klein geredet oder – wie zu seiner Zeit unter deutschen Historikern üblich– mit Geringschätzung bedacht. Wiederholt hat er seine Sympathien mit dem Freiheitskampf der Polen bekundet. Aufsehen erregte sein Gedicht „Großhandel“, in dem er die Teilungen Polens mit dem Sklavenhandel verglich. Und gerade dieses Gedicht – das geht aus den von Hoffmann publizierten Akten hervor – hat man ihm bei seiner Entlassung in Breslau vor allen anderen „Unpolitischen Liedern“ zum Vorwurf gemacht.

Text: Dr. Markus Bauer, Direktor des Schlesischen Museums zu Görlitz
Fotos: SMG Bibliothek © SMG