Buchempfehlung: “Oberschlesische Poesie” von Stefan Pioskowik

“Eine Reise auf der Suche nach den eigenen Wurzeln ist in solch einer Region wie meiner oberschlesischen Heimat wahrscheinlich interessanter als etwa in Warschau, Berlin oder Wien.”

Dr. Stefan Pioskowik schreibt über sein Buch.

Wer im Bereich des Oderstrandes geboren worden ist, entdeckt früher oder später die Eigenart dieses Landes und des eigenen Ichs.

Meine Feststellung ist sicherlich nicht neu, jede Generation der Oberschlesier wurde damit konfrontiert und hat zu dieser Eigenart immer wieder etwas Neues beigetragen und sie weiterentwickelt und gestaltet.

Diese Entwicklung begann mit der Industrialisierung Oberschlesiens, die diesem Land seine Prägung gegeben und einen neuen Typus des Oberschlesiers erschaffen hat. Die einheimische oberschlesische Bevölkerung konnte und musste sich mit der fortschreitenden zivilisatorischen Entwicklung ihrer Heimat verbrüdern. Es war ein Prozess, der zu unvermeidlichen Veränderungen in jedem Lebensbereich dieses Volkes geführt hat.

Die alten oberschlesischen Städte wie Gleiwitz, Beuthen oder Tarnowitz mussten nicht erst aus dem Boden gestampft werden, aber durch Zink, Eisen und Kohle entstanden Emporkömmlinge wie Kattowitz und Königshütte. Um diese neuen Zentren des pulsierenden Lebens gruppierten sich im Schatten der Fördertürme und der Schlote kleinere Industriegemeinden.

Es wuchs in Oberschlesien ein Industrierevier, das sich fast mit dem Ruhrgebiet messen konnte. Auf der Suche nach Arbeit, nach einem besseren Leben kamen zu uns Menschen aus den benachbarten Gebieten. Es kam zu einem Schmelztiegel von Sprachen und Kulturen, dessen Endprodukt der fleißige und arbeitsame Oberschlesier war, der bis heute diese Eigenschaften verkörpert.

Neben den Stätten der Arbeit mussten hier auch Orte des Glaubens gebaut werden, denn die oberschlesische Bevölkerung war von tiefer Frömmigkeit. Die Mehrheit der Oberschlesier besuchte die katholischen Kirchen, ein kleinerer Teil die evangelischen Gotteshäuser oder die Synagogen. In Oberschlesien galt immer das ora et labora.

Oberschlesien war immer mehr als nur sein Industriegebiet. Die Oder fließt nicht durch Kattowitz, sie fließt durch Ratibor und Oppeln, und sie verleiht der Landschaft rechts und links ihrer Ufer ein ländliches Flair. Oberschlesisch sind auch die bergigen Beskiden und die ausgedehnten Wälder um Lublinitz. Oberschlesien ist ebenfalls eine alte historische Region mit vielen Gesichtern, auf die wir stolz sein können. Wir dürfen diese Heimat aber nicht nur von außen entdecken, sondern wir müssen sie mit unserer Seele suchen.

In einem Gedicht formuliere ich dieses so:

Mein Oberschlesien ist geheim
Man muss finden seinen Reim
In allen hiesigen Sprachen
Die es so heimisch machen
Dank ihnen entstanden Legenden
Von arbeitsamen Köpfen und Händen
Die das Geheimnis mit sich ins Grab nahmen
Eine Ahnengalerie mit oberschlesischen Namen
Dieses Land ist abgründig
Es hat für uns etwas übrig
Wenn wir uns zu ihm bekennen
Uns einfach Oberschlesier nennen

Ich verorte meine oberschlesischen Gedichte bereits in der postindustriellen Epoche meiner Heimat, in der Zeit der Globalisierung, die durch die weltweite kulturelle Einebnung paradoxerweise zur Suche nach der persönlichen Identität anspornt. Hoffentlich ist das auch bei den Menschen in Oberschlesien so, denn solange wir uns – in allen Sprachen unserer Region – als Oberschlesier bezeichnen, so lange wird es ein lebendiges Oberschlesien geben.

Wie ist es um die oberschlesische Identität heute bestellt? Darauf muss jeder seine eigene Antwort finden. Ich versuche das, indem ich meine oberschlesischen Gedichte schreibe. Als Soziologe entdeckte ich in unserer eigentlich immer noch ein bisschen heilen oberschlesischen Welt jedoch ein Problem: „Oberschlesien hat aber binnen 100 Jahren zu viel von seiner Identität eingebüßt, weil es auf verschiedene Art und Weise zu viele Oberschlesier verloren hat. Der übrig gebliebene Rest der Oberschlesier schaut ratlos auf den Haufen der zerbrochenen Bilder der oberschlesischen Identität.

Text: Dr. Stefan Pioskowik

Die Publikation ist hier zugänglich.