Mit Michał Probierz steht nach über einer Dekade wieder ein Mann aus Oberschlesien an der Spitze der polnischen Elf
Ein Überblick über fast 100 Jahre polnische Fußballgeschichte mit oberschlesischem Akzent.
In den Chroniken des Polnischen Fußballbundes PZPN findet man zwar bereits in den 1930er Jahren mit dem Kattowitzer Karl Kossok (bzw. Karol Kossok) einen Coach aus Oberschlesien, doch von einem richtigen Nationaltrainer kann man in dem Fall eher nicht sprechen. Der frühere erfolgreiche Stürmer mehrerer polnischer Vereine – wegen seiner Körpergröße „Schlesischer Riese“ genannt – war nach dem Abschluss seiner Kickerkarriere Assistent des Nationaltrainers Józef Kałuża und betreute die Mannschaft in dessen Vertretung in einem Spiel (1937, 2:1 gegen Lettland).
Der erste Oberschlesier, der als Nationaltrainer eigene Visionen verwirklichen konnte, war Antoni Piechniczek aus Königshütte (Chorzów). Das von ihm geführte Team belegte bei der Weltmeisterschaft 1982 den dritten Platz und wiederholte damit den bis dahin größten Erfolg der polnischen Fußballgeschichte (Platz drei bei der WM 1974). Mit Piechniczek, der nach einer Alkoholaffäre in der Mannschaft als Not-Trainer verpflichtet worden war, gewann die polnische Elf zunächst die Qualifikationsgruppe gegen die starke Nationalauswahl der DDR und überraschte dann bei dem Turnier mit einer unerwartet guten Leistung. Der Königshütter betreute die Weiß-Roten insgesamt sechseinhalb Jahre (1981-1986 und 1996-1997) und gehört somit zusammen mit dem erwähnten Józef Kałuża und dem legendären Kazimierz Górski zu den am längsten amtierenden polnischen Nationaltrainern.
Knapp zwei Jahre war im Zeitraum 1993-1995 Henryk Apostel Coach der weiß-roten Elf. Da er als Fußballer am längsten für den Fußballverein Legia Warszawa spielte, wird er heute nur selten mit Oberschlesien in Verbindung gebracht. Dabei kam Apostel 1941 in Beuthen (Bytom) zur Welt und begann seine Karriere in dem dortigen Verein Polonia. Die von ihm trainierte Nationalmannschaft erzielte keine nennenswerten Erfolge.
Große Hoffnungen waren 2009 mit der Ernennung eines weiteren Oberschlesiers zum Nationaltrainer verbunden. Der aus Lubom (Lubomia) bei Loslau (Wodzisław) gebürtige Franciszek Smuda (in Deutschland offiziell: Franz Smuda) hatte zuvor mit mehreren polnischen Vereinen den Landesmeistertitel gewonnen und – für polnische Verhältnisse – erfolgreich an den europäischen Pokalwettbewerben teilgenommen. Als Chef der Nationalelf hatte der deutsch-polnische Doppelstaatler deutlich weniger Glück. Er trainierte die Mannschaft, die 2012 zusammen mit der Ukraine Gastgeber der Europameisterschaft war und in die man aus diesem Grund große Erwartungen setzte. Da aber sein Team gleich in der Vorrunde nach zwei Niederlagen und einem Unentschieden ausschied, verlor Smuda nach dem letzten EM-Spiel seine Funktion.
Eng mit Oberschlesien verbunden war auch der aus der Region Kleinpolen stammende langjährige Verteidiger des Königshütter Fußballvereins Ruch Chorzów, Waldemar Fornalik. Als erfolgreicher Trainer desselben Vereins genoss er in Polen hohes Ansehen, doch die von ihm betreute Nationalmannschaft spielte ungleich. Nach der misslungenen Qualifikation für die WM 2014 wurde Fornalik nach nur einem Jahr entlassen.
Im September 2023 löste Michał Probierz den bisherigen Trainer der polnischen Nationalelf Fernando Santos ab. Der aus Beuthen (Bytom) gebürtige frühere Mittelfeldspieler gilt als starke Persönlichkeit des polnischen Fußballs. Als Profi spielte er u. a. für Górnik Zabrze und Widzew Łódź, kein Unbekannter ist er aber im Ruhrgebiet, da er in den 1990er Jahren bei Bayer Uerdingen und SG Wattenscheid 09 unter Vertrag stand. Zuletzt arbeitete er als Trainer des Nationalteams U-21. Die Aufgabe, die der Polnische Fußballbund ihm gestellt hat, ist die Qualifikation für die diesjährige Europameisterschaft. Seine Mannschaft hat noch die Chance, sich über das Play-off-Turnier ein EM-Ticket zu sichern.
Text: Dawid Smolorz