250. Jahrestag der Gründung der deutschen Siedlung Anhalt in Oberschlesien

Vor 250 Jahren gelang 300 deutschen Protestanten aus Polen eine spektakuläre Flucht  nach Schlesien

Der Tag gilt symbolisch als Gründungsdatum des Ortes Anhalt/ Hołdunów.

Die Geschichte von Anhalt (heute Teil der ostoberschlesischen Stadt Lendzin/ Lędziny) ist unzertrennlich mit der von Seibersdorf/ Kozy verbunden. Dieser in Kleinpolen liegende Ort, knapp 10 km östlich von Bielitz-Biala/ Bielsko-Biała entfernt, wurde im 14. Jahrhundert als eine von mehreren deutschen Siedlungen in der Gegend gegründet. Nach der Reformation nahmen die Bewohner den lutherischen Glauben an und konnten ihre Religion in dem für konfessionelle Toleranz bekannten polnisch-litauischen Staat zunächst frei ausüben. Da aber während des Krieges zwischen der Adelsrepublik und Schweden (1655–1660) viele Protestanten mit ihren schwedischen Glaubensgenossen sympathisierten, wurden sie nach dem Ende des Konflikts pauschal der Illoyalität beschuldigt und diversen Schikanen ausgesetzt. Nachdem die evangelische Kirche von Seibersdorf von den Katholiken übernommen worden war, besuchten die Gläubigen lutherische Kirchen jenseits der Grenze: in Teschen und Pless. Angesichts des wachsenden konfessionellen Druckes beschlossen sie 1770 – nach Absprache mit dem Fürsten Friedrich Erdmann von Anhalt-Köthen aus Pless und der Breslauer Kriegs- und Domänenkammer – nach Preußen zu fliehen.

Die Flucht erfolgte nicht nur ohne Wissen der polnischen Verwaltung, sondern auch unter Begleitschutz von ca. 70 preußischen Husaren, die in der Nacht vom 24. auf den 25. Mai 1770 illegal ins polnisch-litauische Staatsgebiet eindrangen. Nach deren Eintreffen in Seibersdorf, wo die Einwohner mit gepacktem Hab und Gut auf sie warteten, begab sich der Treck von 313 Personen in Richtung Schlesien, um noch am 25. Mai die Grenze zu passieren. Auf die Flucht der Untertanen des polnischen Königs und die Verletzung der Staatsgrenze durch die Plesser Husaren reagierte Warschau mit einem diplomatischen Protest, von dem sich Berlin jedoch nicht beeindrucken ließ. Der polnisch-litauische Staat stand zum damaligen Zeitpunkt kurz vor einer Katastrophe: Schon zwei Jahre später fand die erste Teilung des Landes statt.

Ihre neue Heimat fanden die protestantischen Flüchtlinge in der Nähe von Lendzin im preußischen Oberschlesien, ca. 50 km nördlich vom bisherigen Wohnort. Zu Ehren des Fürsten von Pless erhielt ihre neue Siedlung den Namen Anhalt. Von den Kolonisten selbst wurde sie aber anfangs „Haltan“ genannt, woraus sich die polnische Namensvariante „Hołdunów“ ableitet. Bis 1945 blieb der Ort eine konfessionelle und eine Sprachinsel, da die meisten Einwohner der umliegenden Dörfer katholisch waren und den slawisch-oberschlesischen Dialekt sprachen.

Die Geschichte des alten Anhalt ging 1945 mit der Evakuierung durch die deutsche Verwaltung und der späteren Vertreibung der meisten verbliebenen deutschen Bewohner zu Ende. Dennoch besteht in dem Ort bis heute eine für oberschlesische Verhältnisse nicht kleine protestantische Gemeinde mit ca. 130 Mitgliedern. An die zehn im Ort ansässige Familien sind direkte Nachkommen der Flüchtlinge von 1770.

Text und Bilder: Dawid Smolorz