In Świdnica (Schweidnitz) wird an die „schlesische Pallas“ erinnert
Das Museum des Alten Kaufmannsstandes feiert die große schlesische Wissenschaftlerin mit Aktionen und Buchpräsentation.
Vor dem Museum des Alten Kaufmannstandes (Muzeum Dawnego Kupiectwa) in Świdnica (Schweidnitz) sitzt Maria Cunitz überlebensgroß auf einer Bank, hält ihr Lebenswerk Urania Propitia auf dem Schoß und schaut in den Himmel. Wer ist diese Frau, die im 17. Jahrhundert die Geschichte der Astronomie geschrieben hat und heutzutage auf den meisten Touristenfotos aus Świdnica zu sehen ist?
Maria Cunitz wird am 29. Mai 1610 in Wohlau (heute Wołów) in Schlesien geboren. Ihr Vater ist promovierter Mediziner und Universalgelehrter, ein gebildeter Mann, der in Frankfurt an der Oder Medizin, Mathematik und Astronomie studiert hat und danach in Schweidnitz als Arzt praktiziert. Die Astronomie begeistert ihn aber sein Leben lang und diese Liebe vermittelt er auch seiner Tochter Maria. Das begabte Kind kann schon mit fünf Jahren lesen und seine Eltern sorgen für eine umfassende Ausbildung. Maria lernt Polnisch, Französisch, Italienisch, Griechisch, Latein und Hebräisch, darüber hinaus Musik, Geschichte und vor allem Mathematik. Ihr Vater macht sie mit dem Gebrauch der damals üblichen astronomischen Instrumente vertraut.
Der Beginn des 17. Jahrhunderts ist eine gute Zeit, um sich für Astronomie zu interessieren. Die ersten Teleskope tauchen auf und Galileo Galilei nutzt sie für seine berühmten Himmelsbeobachtungen, die revolutionäre Ergebnisse bringen. Die Monde des Jupiters werden entdeckt, Johannes Kepler stellt seine berühmten Gesetze zur Planetenbewegung auf und das heliozentrische Weltbild beginnt langsam das geozentrische zu verdrängen. Die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts ist allerdings auch eine denkbar schlechte Zeit, um in Mitteleuropa zu leben: 1618, Maria ist acht Jahre alt, bricht der Dreißigjährige Krieg aus, eine der verheerendsten Katastrophen, die der Kontinent je gesehen hat.
Mit 13 Jahren heiratet Maria Cunitz den Rechtsanwalt David Gerstmann, der nur zwei Jahre später verstirbt. Als Witwe kehrt sie zurück in ihr Elternhaus und widmet sich nun intensiv der Astronomie und Mathematik. Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass im Haus des Arztes Cunitz eine mathematisch und astronomisch begabte junge Frau lebt. Der Arzt und Bekannter von Marias Vater, Elias Krätschmayer (später Elias von Löwen), wird auf sie aufmerksam. Er ist ebenfalls begeistert von der Astronomie. Zuerst unterrichtet Elias Maria in Mathematik, bald werden beide wissenschaftlich und privat ein Paar. Maria entwickelt sich unter seiner Anleitung zu einer gelehrten Mathematikerin und Astronomin, die fortan überaus systematisch wissenschaftlich arbeitet.
Um den Wirren des Dreißigjährigen Krieges und der Zwangskonversion zum Katholizismus zu entgehen, flieht das Paar 1630 zunächst in die Kleinstadt Pitschen (Byczyna) im damaligen evangelischen Herzogtum Brieg (Brzeg), dann weiter ins benachbarte Polen. In Łubnice, dicht an der Grenze zu Schlesien, auf einem Gut der Zisterzienserinnen des Klosters Ołobok, finden sie genügend Ruhe, um sich einem sehr umfangreichen Projekt im Bereich der Astronomie zu widmen.
Die theoretische Astronomie ist damals noch sehr rudimentär und besteht im wesentlichen darin, die Positionen der Sterne und Planeten möglichst genau zu bestimmen und dann ebenfalls so genau wie nur möglich zu berechnen, wie sich die Planeten in Zukunft bewegen werden. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstehen die genauesten Kataloge und Tabellen von Johannes Kepler. Er ist auch der erste, der mit seinen Gesetzen die Bewegung der Planeten wirklich genau erklären kann, weil er sich vom Dogma der kreisförmigen Bewegung gelöst hat. Er ist in der Lage, genaue Vorhersagen zu Planetenbewegungen zu machen. Diese werden 1627 in Form der sogenannten „rudolfinischen Tafeln“ (zu Ehren von Keplers Dienstherrn, Kaiser Rudolf II) veröffentlicht.
Maria erschließt sich die Erkenntnisse von Johannes Kepler, studiert seine Tafeln, lobt ihre Genauigkeit und gleichzeitig kritisiert ihre unzweckmäßige „Verkompliziertheit“. Das, was sie an den rudolfinischen Tabellen stört, ist die komplizierte Mathematik. Sie selbst ist natürlich in der Lage, sie zu verstehen. In ihrer Begeisterung für Astronomie möchte sie aber, dass möglichst viele Menschen an dieser Faszination teilhaben – und nicht jeder beherrscht die höhere Mathematik. Sie beginnt nun damit, die Daten von Kepler selbst durch Beobachtungen und vor allem durch eigene Berechnungen zu überprüfen. Sie entwickelt pionierhaft eigene Berechnungsmethoden und erstellt daraus ihre eigenen Tabellen, in denen sie auf die logarithmischen Zahlenangaben verzichtet, die Keplers Werk für Laien unverständlich gemacht haben.
Daraus entsteht ein zweibändiges Werk, das sie 1650 auf eigene Kosten unter dem Titel Urania Propitia veröffentlicht (“Urania” ist die griechische Muse der Astronomie und “propitia” bedeutet so viel wie “entgegenkommend” oder “verständlich”. Es ist also eine für alle zugängliche und verständliche Astronomie). Das ist für sie als Frau ein Wagnis, zumal das heliozentrische Weltbild immer noch umstritten ist. Zur Sicherheit widmet sie ihre Schöpfung dem Kaiser Ferdinand. Aus mehreren Gründen gedeiht ihre Arbeit zur Sensation. Vor allem schreibt sie ihr Buch nicht nur in der damals üblichen Gelehrtensprache Latein, sondern auch auf Deutsch. Wie unüblich das war, zeigt sich auch in der Einleitung des Werks, in dem sich Maria erklärt, warum sie auch in Deutsch schreibt: Damit die “Kunstliebenden deutscher Nation” die gerne etwas über Astronomie erfahren wollen nicht “durch Unkundigkeit der lateinischen Sprache davon zurückgehalten werden”. Noch unüblicher als ein deutschsprachiges Buch über Astronomie ist in der damaligen Zeit eine wissenschaftliche Arbeit, die von einer Frau verfasst wird. Maria schildert daher ausführlich ihre bisherige Ausbildung um klar zu machen, dass sie weiß, wovon sie schreibt. Sie merkt an, dass es ihr nicht um “Ruhmsucht” geht, sondern darum, den ihr “von Gott geschenkten Lebenslauf wohl anzuwenden” und ihr Talent für die Mathematik sinnvoll anzuwenden. Auch ihr Ehemann Elias hat einen Teil des Vorworts verfasst und darin explizit betont, dass dieses Buch von seiner Frau verfasst worden ist und nicht von ihm.
Maria Cunitz wird dank dieses Werkes berühmt. Bis heute hat ihr Ruhm allerdings nicht unbeschadet überlebt. Was gegen Ende ihres Lebens passiert ist, lässt sich heute nicht mehr genau rekonstruieren. 1661 stirbt Marias Mann Elias. Maria ist 51 Jahre alt, wieder Witwe und alleine und gerät jetzt vielleicht wegen ihrer Arbeit doch noch in Schwierigkeiten. Die Briefe, die sie an ihre berühmten Kollegen geschrieben hat sind heute verschwunden. Ihr Name wurde aus den Buchrücken ihrer Werke in den Bibliotheken von Wien und Göttingen herausgeschnitten. Der Rest der Unterlagen von Cunitz’ Arbeit ist nicht mehr auffindbar. Über die letzten Jahre im Leben der Maria Cunitz gibt es kaum Informationen. Sie stirbt am 22. August 1664.
Das Phänomen der „schlesischen Pallas“ wird seit einigen Jahren wieder ins Gedächtnis gerufen. In ihrer Heimatstadt Schweidnitz, heute Świdnica, avancierte sie mittlerweile zum Bestandteil der kollektiven Identität der heutigen Stadtgesellschaft. Eine große Rolle in der Popularisierung des Wissens um Maria Cunitz spielt nach wie vor das Museum des Alten Kaufmannstandes, vor dem sich seit 2009 ihr Denkmal befindet. Am 410. Geburtstag von Maria Kunitz organisiert das Museum wieder einige Aktionen und präsentiert der Öffentlichkeit das Werk Urania Priopitia.
Text und Bild: Agnieszka Bormann
Quellen: Muzeum Dawnego Kupiectwa w Świdnicy, http://scienceblogs.de