Tagungsbericht: Schlesische Kriegsschale 1939 – 1945

Tagungsbericht zur fünften deutsch-polnischen Kuratorentagung im Haus Schlesien anlässlich des 80. Jahrestages des Kriegsbeginns.

Fünfte Kuratorentagung fand am 20.-23. November 2019 statt.

Runde Jahrestage bieten stets eine Gelegenheit die Aufmerksamkeit auf wichtige historische Ereignisse und Entwicklungen zu lenken, denn nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und daraus für die Zukunft lernen. Hier sind Museen und Kultureinrichtungen in besonderem Maße gefragt, Interesse an den Themen zu wecken, die Erinnerung wach zu halten und den Besuchern Geschichtswissen und dessen Bedeutung zu vermitteln.

Ein solcher Gedenktag war im Jahr 2019 der erste September. Mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen begann vor 80 Jahren der Zweite Weltkrieg. Der nationalsozialistische Vernichtungskrieg stellte eine beispiellose Tragödie dar und kostete in sechs Jahren mehr als 60 Millionen Menschen das Leben. Zwar wurde Schlesien lange von den unmittelbaren Kriegshandlungen verschont, doch spürte man auch hier die Folgen des Krieges und mit dem Zusammenbruch der Ostfront 1944 wurde Schlesien schließlich auch Kampfgebiet.

Die Fakten hierzu findet man in den Geschichtsbüchern, es gibt Jahreszahlen und Statistiken – doch wie können Museen diese abstrakten Zahlen fassbar machen, in Bilder und Geschichten umwandeln, um ihren Besuchern die Dimensionen des Krieges und seiner Grausamkeiten zugänglich zu machen. Die Schwierigkeit der musealen Vermittlungsarbeit besteht darin, den Objekten und Dokumenten ihre Geschichten zu entlocken und damit Geschichte so zu erzählen, dass sie den Besuchern nahe geht, Spuren hinterlässt und neue Erkenntnisse vermittelt.

Mit der Frage, wie dies gelingen kann, beschäftigten sich die zwölf Teilnehmer der fünften deutsch-polnischen Kuratorentagung, die vom 20. bis 23. November im HAUS SCHLESEN stattfand. Nach einer Begrüßung durch die Museumsleiterin Nicola Remig wurde im ersten Themenblock zunächst über Möglichkeiten der digitalen Vermittlung im Internet diskutiert. Den anlässlich des 80. Jahrestages des Kriegsbeginns initiierten Blog von HAUS SCHLESIEN, in dem regelmäßig Exponate und Dokumente aus der eigenen Sammlung sowie Gastbeiträge polnischer Partnermuseen präsentiert werden, stellte die Projektkoordinatorin Silke Findeisen vor. Unmittelbar daran schloss sich der Beitrag von Svea Hammerle vom Haus der Wannsee-Konferenz an, die eine von ihr kuratierte Internetausstellung präsentierte. Unter dem Titel „Stumme Zeugnisse 1939 – Der deutsche Überfall auf Polen in Bildern und Dokumenten“ werden darin Fotos und Fotoalben von Soldaten gezeigt, die den Polenfeldzug im September 1939 dokumentieren. Von den Planungen eines weiteren Online-Projektes berichtete Dr. Antje Johanning-Radžienė vom Herder-Institut in Marburg. Das im Aufbau befindliche Transferportal Copernico wird sich ab Herbst 2020 an die breite nationale und internationale Öffentlichkeit richten und Einblick in zentrale Themen der Geschichte und Kultur des östlichen Europas gewähren sowie über die an ihrer Erforschung und Vermittlung beteiligten Institutionen ebenso wie über Recherchemöglichkeiten und verfügbare Materialien informieren.

Auch wenn die digitale Vermittlungsarbeit in der musealen Arbeit zunehmend an Bedeutung gewinnt, da so auch museumsferne Zielgruppen erreicht werden können, liegt die Kernkompetenz der Museen bei den klassischen Ausstellungen. Der zweite Themenblock widmete sich entsprechend Dauer- und Sonderausstellungen zur Thematik. Zunächst erläuterte Dr. Alfons Adam von der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung die Pläne für die künftige Dauerausstellung der Stiftung in Berlin und setzte dabei den Schwerpunkt auf den von ihm kuratierten Bereich, der die Kriegsjahre und die in dieser Zeit erfolgten Wanderungsbewegungen darstellt. Es folgte die Präsentation der Ausstellung „Oberschlesische Städte im Zweiten Weltkrieg 1939 – 1945“ durch den Kurator Frank Mäuer, der basierend auf einer Fassung des Staatsarchivs in Kattowitz eine deutsche Version mit ergänzenden Texten erarbeitet hat, die als Wanderausstellung an verschiedenen Standorten gezeigt wird.

In einem dritten Themenblock ging es um einzelne Projekte und Sammlungsbestände, die unterschiedliche Perspektiven auf das Thema „Zweiter Weltkrieg“ bieten. Zunächst präsentierte Bartlomiej Ondera das Schülerprojekt „In fremder Erde“ zu polnischen Zwangsarbeitern in Düsseldorf. Schüler eines Kunstleistungskurses haben sich unter Anleitung des Gerhart-Hauptmann Hauses in Düsseldorf mit der Thematik der Zwangsarbeit befasst und Graphic Novels zum Thema erstellt. Im anschließenden Vortrag von Janusz Skowroński, dem Leiter des Gerhart Hauptmann Hauses in Agnetendorf (Dom Gerharta Hauptmann), ging es um ein Forschungsprojekt zum letzten Lebensjahr von Gerhart Hauptmann. Neu an die Öffentlichkeit gelangte Dokumente geben Aufschluss darüber, inwieweit Polen aus seinem Umfeld ihn in dieser Zeit unterstützt haben. Der daraus entstandene Film wurde zum Abschluss gezeigt.

Das Schicksal des letzten deutschen Seelsorgers von Bunzlau, Pfarrer Paul Sauer, war Thema des Beitrags von Anna Puk vom Keramikmuseum in Bunzlau (Muzeum Ceramiki w Bolesławcu). Auch Konrad Byś vom Kupfermuseum in Liegnitz (Muzeum Miedzi w Legnicy)widmete seinen Vortrag einem Einzelschicksal. Er erzählte, angeregt durch eine in der Museumssammlung befindliche Radierung eines Soldaten, die Geschichte von Herbert Mertin, der als junger Mann an der Ostfront gefallen ist.

Dr. Lilia Antipow vom Haus des Deutschen Ostens in München stellte in ihrem Beitrag den Film von und über die schlesische Adlige Lona von Lieres und ihr Leben während des Zweiten Weltkrieg vor. Einen scharfen Kontrast zu diesen Schilderungen eines vom Krieg fast unbehelligten Lebens bot der Vortrag von Wojciech Dominiak, dem Leiter des Museums des Neustädter Landes (Muzeum Ziemi Prudnickiej), der über die Aufzeichnungen des Lagerinsassen Wacław Surowiecki berichtete.

Den Abschluss bildete das Referat von Dr. Bogdan Koch aus dem Museum in Rybnik (Muzeum w Rybniku), der krankheitsbedingt nicht selbst an der Tagung teilnehmen konnte. Den schriftlich eingereichten Beitrag über Exponate zum Zweiten Weltkrieg aus der Museumssammlung las an seiner Stelle Michał Karpiński (Muzeum Ceramiki w Bolesławcu) vor. Ein Besuch im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland rundete die Tagung ab. Im Gespräch mit der Kuratorin

Katrin Grajetzki ging es neben der allgemeinen Konzeption des Hauses und den Besucherzahlen und -erwartungen auch um die Frage, inwieweit bei einer Überarbeitung der Ausstellung stärker die Geschichten hinter den einzelnen Objekten dargestellt werden können und wie das angesichts der Fülle der Themen und Exponate möglich wäre.

Rege Diskussionen begleiteten die Vorträge und gaben den Teilnehmern neue Anregungen mit auf den Weg. Das kollegiale Treffen bot wieder Gelegenheit zum Austausch und zum Knüpfen neuer bzw. zur Intensivierung alter Kontakte. Im Laufe der Tagung kristallisierte sich als Fazit heraus, dass der Zugang über Biographien, über persönliche Geschichten und Bilder, den Besuchern zumeist leichter Zugang zu der oft schwierigen Thematik ermöglicht und die individuellen Schicksale ihnen neue Blickwinkel eröffnen und abstrakte Zahlen und Fakten mit Leben füllen. Durch die emotionale Ebene lässt sich der Besucher besser erreichen und Informationen können nachhaltig vermittelt werden.

Silke Findeisen