Reisebericht von Marton Szigeti
Eine überraschende Entdeckung auf den bezaubernden Friedhöfen von Menton.
Mon Dieu! Was für ein herrlicher Ausblick auf die Bucht von Menton. Eingebettet in die steil abfallenden Berghänge unmittelbar an der italienischen Grenze, kann man sich hier von allen trüben Gedanken freimachen und einfach nur entspannen. Sicherlich, diese Gedanken gingen bereits Generationen von Reisenden vor mir durch den Kopf.
Mitte des 19. Jahrhunderts mieteten sich russische Prinzen, britische Offiziere, amerikanischer Geldadel und deutsche Industrielle in Häuser und Wohnungen des überschaubaren französischen Ortes ein. Fernab des Trubels von Cannes und Nizza suchten sie bei angenehmen Temperaturen am Meer oftmals Genesung, beispielsweise von der weitverbreiteten Arthritis oder der damals unheilbaren Lungen-TBC. Viele von ihnen blieben und kehrten nie in ihre Heimat zurück. Ihre Gräber allerdings, existieren immer noch.
Wer den steilen Aufstieg durch die verwinkelten Gassen, vorbei an der Basilika Saint Michel Archange, nicht scheut, trifft hoch über den Dächern Mentons auf den Cimetière du Vieux Château.
Entlang der Mausoleen jüngeren Datums liegen im Anschluss die dem Zahn der Zeit überlassenen historischen Grabstätten aus den 1800er Jahren. Gerahmt von rostigen schmiedeeisernen Umrandungen reiht sich Gruft an Gruft aneinander. Der starke natürliche Verfall hat hier seinen eigenen ganz besonderen Charme hinterlassen.
Auf dem Gelände des ehemaligen und geschliffenen Schlosses ist die Farbe Grün eher die Ausnahme. Grauer Kies bedeckt die Wege und 150 Jahre Wind und Wetter haben den ehemals weißen Marmor der Gräber altern lassen. Niemand betrauert mehr die längst verblassten Namen auf den Abdeckplatten, die oftmals zerbrochen vor dem Kameraobjektiv liegen.
Und ausgerechnet hier treffe ich auf einen Familiennamen, der für die oberschlesische Geschichte eine entscheidende Rolle spielte – Graf Henckel von Donnersmarck!
Über den Familienstammbaum noch völlig im Unklaren lese ich die Daten ab:
Leo Ferdinand Graf Henckel von Donnersmarck
Geboren den 21. März 1821 zu Kaulwitz in Schlesien
Gestorben den 13. Januar 1892 in Monte Carlo
Welches Schicksal mag sich hinter ihm verbergen? Wie auch immer. Die Recherche muss warten, ich habe Urlaub!
Zwei Wochen später stelle ich zunächst fest, dass Kaulwitz nördlich von Namslau nur in Spuckweite zur Region Oberschlesien liegt – aber eben nicht darin. Was Leo Ferdinands Biografie betrifft, stoße ich im Internet auf einen von einem Nachfahren recherchierten Lebenslauf.
Als Sohn des Johann Nepomuk Graf Henckel von Donnersmarck wuchs Leo mit fünf weiteren Geschwistern auf. 1838 als 17-Jähriger in das Militär eingetreten, nahm er als 30-jähriger Oberleutnant im Husarenregiment Nr. 9 seinen Abschied. Zuvor heiratete er 1847 völlig an den Regeln des Standes vorbei eine Stuttgarter Ballettdiva. 1852 meldet das allgemeine Polizeiblatt von Niederländisch Indien, dass ein Graf Henckel von Donnersmarck samt Familie eingereist sei. Leo blieb dem Militär treu und wechselte zu den Pionieren der niederländischen Übersee-Besitzungen. Zuletzt als Landvermesser auf Java tätig, lebte er mindestens bis 1882 eben dort. Wann und unter welchen Umständen er wieder nach Europa zurückkehrte ist nicht überliefert. Da seine Frau Marie Christine bereits 1888 in Stuttgart verstarb, zog sich Leo vermutlich als Witwer nach Menton zurück. Mit 71 Jahren überlebte er mit Abstand seine Brüder und Schwestern.
Was bleibt ist ein vergessenes Grab eines Niederschlesiers an einem der schönsten Plätze der Côte d´Azur.
Text & Fotos: Marton Szigeti