Breslau/ Wrocław: In der alten Stadtbibliothek entsteht das Universitätsarchiv

Eine Perle neugotischer Architektur wird als Archiv der Breslauer Universität genutzt

Der Ende des 19. Jahrhunderts errichtete Bau muss zuerst gründlich saniert werden.

Nach vielen erfolglosen Versuchen haben die Behörden der Universität Wrocław/ Breslau auf den Verkauf der ehemaligen Stadtbibliothek (später Universitätsbibliothek) in der Szajnochy-Straße 7/9 (ehem. Rossmarkt 7/9) verzichtet. Viele Breslauer atmeten mit Erleichterung auf. Das Gebäude ist so schön, dass man sich kaum vorstellen konnte, dass dort irgendwelche Lofts, Appartements oder Bankräume entstehen könnten. Es ging vor allem um ein einmaliges Bücherlagersystem – eine spezielle Konstruktion aus Gusseisen und Stahl, die ermöglichte, den Raum praktisch zu nutzen und den Büchern und Archivalien den Zugang von Luft, Licht und Wärme zu sichern. Jetzt ist es klar: in das neugotische Gebäude wird das Universitätsarchiv umziehen.

Zuerst muss aber eine gründliche Sanierung des Gebäudes durchgeführt werden (die Sanitär- und Elektroinstallationen werden ausgetauscht, eine moderne Lüftungs- und Klimaanlage mit Wärmepumpen wird installiert, Fundamente und Keller müssen getrocknet und Wände isoliert werden). Das Gebäude wird an die Bedürfnisse der Behinderten (der Bau eines Personenaufzuges) angepasst. Die Kosten der Renovierung werden auf ca. 51,5 Mio. PLN (ca. 11,5 Mio. Euro) geschätzt. Unten in dem renovierten Gebäude entsteht ein kleiner Konferenz- und Ausstellungsraum und ein Digitalisierungslabor. Im ersten Stock werden ein Lesesaal mit 20 Plätzen, Büros der Geschäftsleitung, Personalräume und ein Archivlager untergebracht sein. Die anderen Etagen werden ebenfalls als Lagerräume für das Archiv der Breslauer Universität genutzt.

Das Gebäude wurde in den Jahren 1887-1891 von Richard Plüddemann erbaut. Es beherbergte drei Institutionen: die städtische Sparkasse, das Stadtarchiv und die Stadtbibliothek. Die Baukosten, die eine Million Reichsmarkt betrugen, deckte die städtische Sparkasse. Das Gebäude wurde im neogotischen Stil mit charakteristischen Elementen, die an die frühmittelalterliche Architektur des 13. Jahrhundert erinnern sollten (die sog. Hannoversche Schule) entworfen. Dieser Stil hatte zum Ziel, nicht nur die persönlichen Vorlieben des Architekten und langjährigen Stadtbaurates Plüddemann zu zeigen, sondern die Rolle des Gebäudes, in dem sich kostbare Schätze, Archivalien und Bücher befanden, hervorzuheben. Das malerische Aussehen des Gebäudes erreichte der Architekt durch den Kontrast zwischen den roten Ziegeln und Sandsteinelementen, durch zahlreiche Erker, Türme und Türmchen. Den äußeren Hauptakzent des Gebäudes bildet der Eckturm mit einer Uhr. Im Erdgeschoss wurden ursprünglich die Bankräume untergebracht, in den oberen befanden sich eine Bibliothek, Archiv mit einem Lesesaal, Bücherkataloge, Räume für den Bibliothekar, Lagerräume und Dienstwohnung des Direktors.

Die Grundlage für die erste Stadtbibliothek bildete die Sammlung eines großen Kunstsammlers Thomas Rehdiger. Die Idee, eine Sammlung für seine eigene Stadt zu schaffen, entwickelte sich bei Thomas Rehdiger während seines Studiums in Wittenberg. Im Jahre 1566 unternahm er eine Reise durch Europa mit der Absicht, seine Idee zu realisieren. Durch verschiedene Städte reisend kaufte Rehdiger Handschriften, Münzen und Kunstwerke. Ein Jahr vor seinem Tod verfertigte er ein Testament, in dem er seine Brüder beauftragte, die Werke aus Köln nach Breslau zu schaffen und sie in einem zu diesem Zwecke erbauten Gebäude zu platzieren. Die Bibliothek wurde 1661 bei der Elisabethkirche eröffnet. Zu Ehren des Stifters wurde sie Rehdigerana genannt. Die Sammlung wurde später zum Teil der städtischen Bibliothek. Das Gebäude der Stadtbibliothek wurde während des Zweiten Weltkriegs nicht zerstört. Zusammen mit dem benachbarten Gebäude des ehemaligen Wallenberg-Pachaly-Palastes wurde es der Breslauer Universität für die Bibliothek übergeben. Nachdem die neue und moderne Universitätsbibliothek in der Joliot-Curie-Straße erbaut wurde (2012), wurden dort alle Sammlungen verlegt. Der Wallenberg-Pachaly-Palast wurde verkauft, dasselbe Schicksal war auch für die ehemalige Stadtbibliothek bestimmt. Zum Glück fand sich für das neugotische Gebäude jedoch kein Käufer. Und so bleibt das Gebäude in seiner ursprünglichen Rolle – ohne Sparkasse und Bibliothek, dafür aber mit einem Archiv!

Text und Fotos: Małgorzata Urlich-Kornacka