Eine Hauptstadt, die keine ist

Kattowitz – die größte Stadt Oberschlesiens

Oft wird Kattowitz/ Katowice irrtümlich als Hauptstadt Oberschlesiens bezeichnet – diesen Rang genießt traditionell Oppeln/ Opole.

Vor allem in den Medien wird dieser Fehler begangen. Fakt ist aber, dass Kattowitz zum Teil tatsächlich einen großstädtischen Eindruck macht. Nicht zuletzt ist dies Objekten zu verdanken, die erst in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren erbaut wurden. Die sogenannte Kulturzone, die das neue Schlesische Museum, das Internationale Kongresszentrum und der Sitz des Nationalen Sinfonieorchesters bilden, ist wohl das am meisten beeindruckende Symbol des neuen Kattowitz. Nördlich und östlich des älteren Zentrums, entlang der Schnellstraße DTS, die die größten Städte des Ballungsraumes verbindet, entstehen wiederum neue Bürokomplexe, in die internationale Firmen einziehen.

Kattowitz zählt heute knapp 300.000 Einwohner und ist seit 1968 Universitätsstadt. Selbst in den für die polnische Wirtschaft schwierigen 1990er und frühen 2000er Jahren hatte es einen niedrigen Arbeitslosenanteil (deutlich unterhalb von zehn Prozent). Als Wirtschafts- und Verwaltungszentrum einer wichtigen polnischen Region war es seit der politischen Wende ein für Investoren attraktiver Standort. Was früher fast undenkbar war, kommen in der letzten Zeit auch immer mehr Touristen in die Stadt, und zwar nicht nur wegen der eingangs genannten neuen Objekte. Weit über die Grenzen der Region hinaus bekannt sind die zwei malerischen Arbeitersiedlungen Nikischschacht/ Nikiszowiec und Gieschewald/ Giszowiec. Ein weiteres Markenzeichen ist die originale Architektur der Zwischenkriegszeit. Den Kattowitzer Modernismus repräsentieren unter anderem der Schlesische Sejm, das flächenmäßig größte Gebäude der Zweiten Polnischen Republik, und der 62 Meter hohe „Wolkenkratzer“, eine der höchsten Bauten Vorkriegspolens.

Dass die Stadt an der Rawa trotz einer relativ kurzen Geschichte (Stadtrechte 1865) heute die Nummer Eins unter den urbanen Zentren Oberschlesiens ist, verdankt sie im Grunde einem einzigen Ereignis. Nämlich der Teilung der Region zwischen Deutschland und Polen 1922. Da Gleiwitz/ Gliwice, Beuthen/ Bytom und Oppeln bei Deutschland verblieben, kamen nur Königshütte/ Chorzów und Kattowitz als Hauptstädte der neuen polnischen Wojewodschaft Schlesien infrage. Die erstgenannte Stadt war zwar größer (70.000 Einwohner), hatte aber aufgrund ihrer Lage zwischen anderen Industrieorten und in direkter Nähe der Staatsgrenze zum Reich kaum die Möglichkeit, in der Zukunft ihr Gebiet auszudehnen. Die Wahl fiel daher auf Kattowitz, das zwar „nur“ 50.000 Einwohner hatte, dafür aber ein deutlich höheres Entwicklungspotential besaß. Bereits Ende der 1930er Jahre erreichte die Hauptstadt Polnisch-Oberschlesiens 100.000 Einwohner. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte man daher keinen Zweifel mehr, welche Stadt zum Verwaltungssitz der nun komplett zu Polen gehörenden Region werden sollte.

Der „Wolkenkratzer“, erbaut 1929–1934, Quelle: Jan Mehlich, Wikimedia Commons.

Text: Dawid Smolorz