Vor 77 Jahren begannen regelmäßige Luftangriffe auf Ziele in Oberschlesien

Amerikanische Bombenflugzeuge brachten Luftkrieg über Oberschlesien 

Bis Juli 1944 galt Schlesien als „Luftschutzkeller des Reiches”.

Einen Luftkrieg, wie ihn die Einwohner des Ruhrgebiets, Berlins, Hamburgs und anderer deutscher Großstädte erlebten, kannten die Oberschlesier lange Zeit nur aus Erzählungen. Denn bis Juli 1944 galt Schlesien aus guten Gründen als „Luftschutzkeller des Reiches“. Aus Gebieten, die in der Reichweite der britischen Royal Air Force lagen, wurden nicht nur die Zivilbevölkerung, sondern auch ganze Industriebetriebe in die Region evakuiert. Die periphere Lage, die Ober- und Niederschlesien sonst manches Mal zum Verhängnis wurde, erwies sich in den ersten fünf Jahren des Krieges als vorteilhaft. Aufgrund der großen Entfernung von den britischen Inseln blieb die Oderregion bis Mitte 1944 weitgehend sicher. Erst nach der Eroberung Süd- und Mittelitaliens durch die Alliierten und infolge der Entwicklung an den südosteuropäischen Kriegsschauplätzen verlor Schlesien den Beinamen „Luftschutzkeller des Reiches“.

Flak-Batterie in Feuerstellung. Quelle: Bundesarchiv, Bild 101I-635-3999-24 / Walther / CC-BY-SA 3.0.

Interessanterweise wurden nicht die oberschlesischen Berg- und Hüttenwerke zu Hauptzielen für die alliierten Bombenflugzeuge, sondern drei Betriebe, die sich zum Teil auf synthetische Treibstoffproduktion spezialisierten: die Oberschlesischen Hydrierwerke in Blechhammer/Blachownia Śląska, das IG Farben-Werk in Kandrzin/Kędzierzyn und die Kokerei der Schaffgotsch’schen Benzin GmbH in Deschowitz/Zdzieszowice. Die strategische Bedeutung dieser Werke für das „Dritte Reich“ stieg enorm, nachdem die Rote Armee im Sommer 1944 Südrumänien samt den Erdölfeldern in der Nähe von Ploieşti eingenommen hatte. Denn Deutschland verlor damit eine wichtige Quelle der für die Kriegsführung unentbehrlichen Kraftstoffe. Umso mehr gerieten die Betriebe um Kandrzin und Cosel dadurch ins Visier der englischen und amerikanischen Kriegsstrategen. Achtzehn Mal starteten zwischen dem 8. Juli und dem 26. Dezember 1944 die Flugzeuge der 15. US-Luftflotte vom italienischen Militärflugplatz Foggia, um Ziele in Oberschlesien anzugreifen. Am häufigsten (13 Mal) erschienen die amerikanischen Maschinen über dem IG Farben-Werk in Kandrzin.

Ziele in Oberschlesien wurden meistens von den sog. Fliegenden Festungen, den Boeing B-17, angegriffen. Quelle: http://www.nationalmuseum.af.mil/shared/media/photodb/photos/050615-F-1234P-008.jpg, Wikimedia Commons.

Vor allem in der frühen Phase wiesen sie eine relativ niedrige Treffsicherheit auf, so dass in den Ortschaften, die in der Nähe der drei genannten Werke lagen, zahlreiche Opfer zu beklagen waren. Tote gab es auch unter den Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern, die damals in den vielen Lagern in Kandrzin und Blechhammer interniert wurden. Insgesamt verloren zwischen Juli und Dezember 1944 infolge amerikanischer Luftangriffe auf Oberschlesien mindestens 650 Menschen ihr Leben. Außer den Betrieben, die innerhalb des Dreiecks Deschowitz – Blechhammer – Kandrzin lagen, wurden unter anderem auch der wichtige Eisenbahnknoten in Oderberg/Bohumin, die Ölraffinerie in Czechowitz/Czechowice sowie die Städte Oppeln/Opole, Cosel/Koźle, Groß Strehlitz/Strzelce Opolskie, Gleiwitz/Gliwice und Beuthen/Bytom aus der Luft angegriffen.

Abstürzende amerikanische Maschine über Blechhammer, 20. November 1944. Quelle: fotopolska.eu.

Der letzte amerikanische Bombenangriff auf Oberschlesien fand am 26. Dezember 1944 statt. Wegen der großen Schäden musste die Kraftstoffproduktion für die Luftwaffe und die Wehrmacht in Kandrzin, Blechhammer und Deschowitz eingestellt werden. Somit erfüllte die 15. US-Luftflotte ihre Aufgabe. Knapp einen Monat später wurde Oberschlesien zum Frontgebiet und schon kurze Zeit später gerieten große Teile der Region unter die Kontrolle der Roten Armee.

Text: Dawid Smolorz