Vor 100 Jahren erhielt Hindenburg (Zabrze) das Stadtrecht

Das Ende des „größten Dorfes Europas“

Drei Bahnhöfe, eine Straßenbahnlinie, Wasserleitungen, ein Kraftwerk, zwei Mittelschulen, ein  Landratsamt, mehrere Berg- und Hüttenwerke sowie zum Teil großstädtische Bebauung – all das hatte Hindenburg vor 1922.

Nur eines hatte dieser Industrieort mit 60.000 Einwohnern aber nicht: Das Stadtrecht. Deshalb wurde er im frühen 20. Jahrhundert oft „das größte Dorf Europas“ genannt. Interessanterweise war die Bezeichnung bis 1902 für das nur knapp 30 entfernte, direkt jenseits der damaligen deutsch-russischen Grenze gelegene Sosnowitz/ Sosnowitz reserviert, das eine ähnliche Entwicklung hinter sich hatte. Bereits 1875 stellte die Landgemeinde Zabrze – so der offizielle deutsche Ortsname Hindenburgs bis 1915 – erstmals einen entsprechenden Antrag.

Die frühere „City“, heute Plac Wolności, Postkarte aus den 1930er Jahren. Quelle: fotopolska.eu.

Doch wurde er – wie einige weitere – abgelehnt. Dass es einer Industriellenlobby gelang, die Pläne der Kommune jedes Mal zu torpedieren, war ein öffentliches Geheimnis. Die Steuern waren in einer Landgemeinde ja deutlich niedriger als in einer Stadt. Überdies galten in den Städten strengere Vorschriften hinsichtlich der Raumplanung und Bebauung, was Großunternehmer als Einschränkung ihrer Tätigkeit empfanden.

Wegekreuz im Stadtteil Biskupitz – Zeuge des deutsch-slawischen Zusammenlebens. Foto. Dawid Smolorz.

Dass „das größte Dorf Europas“ ausgerechnet 1922 zur „jüngsten Stadt Deutschlands“ wurde, war kein Zufall. Nach dem Anschluss Ostoberschlesiens an Polen wurde Hindenburg Grenzstadt. Berlin brauchte am neuen südöstlichen Rande des Reiches ein starkes urbanes Zentrum. Ein Dorf – auch wenn es 60.000 Einwohner hatte – konnte es freilich nicht sein. Mit der Stadtwerdung begann ein Bauboom, den selbst die Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 1930er Jahre nicht stoppen konnte. Schließlich galt die Stadt seit der neuen Grenzziehung als eine Art Schaufenster des Deutschen Reiches.

Der vor Kurzem sanierte Wasserturm von 1909 dient als Museum und Aussichtspunkt. Quelle: Bartosz Kamiński, Wikimedia Commons.

Außer den neuen Wohnvierteln – die nicht zuletzt wegen des starken Zuzugs aus dem polnisch gewordenen Teil der Region erbaut wurden – entstand in Hindenburg eine Reihe von spektakulären Gebäuden, um nur das amerikanisch anmutende Hotel „Admiralspalast“, die äußerst originelle St. Josefkirche oder die Bebauung des neuen zentralen Platzes, der als „City“ bezeichnet wurde.

Das ehemalige Hotel „Admiralspalast“. Foto. Dawid Smolorz.

Da während der Kämpfe von 1945 und nach der Eroberung der Stadt durch die Sowjets relativ wenige Bauten zerstört wurden und die spätere Stagnation der kommunistischen Zeit ganze Viertel „konservierte”, bleibt die elegante Architektur der Weimarer Republik eines der Wahrzeichen von Hindenburg.

Die St. Josefskirche gilt als spektakulärstes Gotteshaus, das im 20. Jh. in Oberschlesien erbaut wurde. Quelle: August Kazimierz, Wikimedia Commons.

Im heutigen Polen assoziiert man die Stadt allerding vor allem mit Fußball – der Verein „Górnik“, der fast in ganz Oberschlesien beliebt ist – gehört mit seinen 14 Landesmeistertiteln zu den erfolgreichsten Fußballklubs der polnischen Sportgeschichte. Außerdem etablierte sich die Stadt in den vergangenen Jahrzehnten zu einem der führenden Zentren des Industrietourismus in Mitteleuropa. Das Bergwerk „Guido“ konnte bereits in den 1970er Jahren besichtigt werden, als der Begriff „Industriekultur“ in Oberschlesien noch unbekannt war.

Das 2016 stilgelegte Bergwerk „Makoszowy“ –  einst eine von acht in Hindenburg aktiven Zechen. Quelle: fotopolska.eu.

Hindenburg hat heute ca. 170.00 Einwohner. Seine deutschen Partnerstädte sind Essen und das sächsisch-anhaltinische Sangerhausen. Die Partnerschaft mit Essen entwickelte sich aus der Patenschaft, die die Stadt an der Ruhr und Emscher 1953 für Flüchtlinge, Vertriebene und Aussiedler aus Hindenburg übernahm.

Stadtwappen von Hindenburg.
Offizielles Banner zum 100. Geburtstag der Stadt.

Text: Dawid Smolorz