„Das Schicksal“ feiert Premiere bei der Deutschen Kinowoche in Wrocław

Die Protagonisten des Filmes, ein Deutscher und ein Pole, erlebten als Jugendliche die Festung Breslau

Der Film von Joanna Mielewczyk setzt beide Zeitzeugen eindrucksvoll in Szene.

Die Deutsche Kinowoche hat schon ihre lange Tradition. Jedes Jahr werden in vielen Städten Polens – u. a. Gdańsk (Danzig), Warszawa (Warschau), Wrocław (Breslau), Katowice (Kattowitz) oder Opole (Oppeln) – deutsche Filme gezeigt, die aktuell sind und die das Publikum im konkreten Jahr besonders bewegt haben.

Im Rahmen der diesjährigen Deutschen Filmwoche Wrocław (20.-26.01.2023) wurde zusätzlich die Filmreportage „Los“ („Das Schicksal“) gezeigt. Die Autorin des Filmes ist die bekannte Journalistin Joanna Mielewczyk-Gaweł. Seit Jahren beschäftigt sie sich mit der Geschichte der Breslauer Bürgerhäuser aber vor allem mit den Schicksalen der Menschen, die vor und nach dem Zweiten Weltkrieg in den Häusern gewohnt haben. Sie hat zahlreiche Interviews gemacht, die später in drei Büchern „Kamienice“ (Breslauer Häuser) veröffentlicht wurden. In diesem Jahr hat sich Joanna Mielewczyk entschieden, eine Reportage zu drehen.

Festung Breslau mit Kinderaugen gesehen
Die Protagonisten des Filmes sind der Pole Jerzy Podlak und der Deutsche Jürgen Hempel, die als 13- und 12-jährige Jungen die Festung Breslau und die Zeit kurz danach er- und überlebt haben. Sie lernen sich erst nach vielen Jahren kennen und im Gespräch mit Bartek Gaweł, dem 13-jährigen Sohn der Journalistin, berichten darüber, wie das Leben hier während des Krieges war und wie der Krieg ihr Leben beeinflusst und für immer verändert hat. Sie sprechen über denselben Moment in der Geschichte der Stadt – über die Belagerung der Festung Breslau durch die Rote Armee und über das alltägliche Leben in der belagerten Stadt. Zwei unterschiedliche Perspektiven: eines Deutschen und eines Polen und doch sehr ähnlich, denn mit den Kinderaugen betrachtet.

Die Protagonisten des Filmes, Jerzy Podlak, Jürgen Hempel, am Tage deiner Premiere. Foto: Marzena Krais.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich die dramatischen Schicksale der Protagonisten während des Krieges verflochten haben: einmal musste Jerzy Podlak während der Bombardierung schnell eine Zuflucht suchen und er versteckte sich in einem Bürgerhaus an der Ecke Schweidnitzer Str./Karl-Str., genau in dem Bürgerhaus, das Hempels gehörte. Nach Jahren hat Jerzy Podlak von Jürgen Hempel erfahren, dass der Junge mit der Mutter und anderen Einwohnern im Keller des Bürgerhauses saß.

Hier stand ursprünglich das Haus von Jürgen Hempel.

Jürgen Hempel
Im Breslau der Vorkriegszeit betrieb die Familie Hempel einen Edelsteingroßhandel. Die Eltern haben ein buntes gesellschaftliches Leben geführt. Weil das Bürgerhaus in der Nähe des Stadttheaters stand, waren hier sehr oft Menschen aus der Kunstwelt: Künstler, Schauspieler oder Opernsänger. Auf dem Flügel, der in der Wohnung stand, übten oft die Sänger vor ihrem Auftritt. Der Vater und der ältere Bruder von Jürgen Hempel mussten auf die Front gehen, so blieb der Junge mit der Mutter alleine. Als die Bombardierungen in der Stadt begannen, haben sie ihr Leben nachts in dem Keller weitergeführt. Tagsüber mussten alle arbeiten. Auch Kinder: es wurde Arbeitspflicht für Jungen ab 10 Jahren und für Mädchen ab 12 Jahren eingeführt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind die Hempels zuerst in Breslau geblieben, obwohl ihr Bürgerhaus abgebrannt ist und alle Wertsachen der Familie (u. a. eine Kiste mit Edelsteinen) von den Russen geraubt wurden. Hempels sind ohne nichts geblieben und mussten mehrmals umziehen. Immer, wenn eine neue Familie aus Polen kam, mussten sie ihre Wohnung verlassen. Die letzten Monate verbrachte die Familie im Keller der ehemaligen Kaffeerösterei von Otto Stiebler am Zwingerplatz (heute Plac Teatralny). Es war eins der bestbewachten Gebäude der unmittelbaren Nachkriegszeit. Da es im Keller große Vorräte von Wein gab, wurde das Gebäude tags und nachts von den russischen Soldaten überwacht. Nachdem alle Fässer und Flaschen geleert wurden, stand das Gebäude leer. Und hier wohnten die Hempels bis zu ihrer Abreise.

In der ehemaligen Kaffeerösterei von Otto Stiebler befindet sich heutzutage eine Mediathek.

Jerzy Podlak
Die Familie Podlak stammte aus Ostrzeszów (Großpolen). Während des Krieges wurde sie verhaftet und über Łódź und Dachau nach Augsburg geschickt, wo eine Art von „Sklavenmarkt“ organisiert wurde. Die deutschen Bauer sollten sich auf dem Markt die Familien für die Landwirtschaft auswählen. Weil aber der Vater von Jerzy Podlak ausgebildeter Lehrer und Mutter Hausfrau war, fand man die Familie „wenig nützlich“. Und so wurden Podlaks ins Arbeitslager nach Breslau – zuerst in der Clausewitzstr., dann die Bergstraße gebracht. Nach der großen Bombardierung während der Osterzeit 1945 wurden alle Häftlinge nach Burgweide (Sołtysowice) versetzt. Hier befand sich eines der größten Arbeitslager in Breslau. Von hier musste der kleine Junge Jerzy ca. 15 Kilometer zu Fuß in die Stadt gehen, um die Mietshäuser im südlichen Teil der Stadt (Krietern, heute Krzyki) zu räumen. Alle Möbel und andere brennbare Materialien mussten weggeräumt werden, um die Schießstände für deutsche Soldaten vorzubereiten. Zu den Aufgaben des Jungen gehörte auch die Leichen von den Straßen zu entfernen und Trümmer wegzuräumen. Eine identische Aufgabe wurde Jürgen Hempel zugeteilt. Bei dem Gespräch mit dem Publikum, das im Anschluss des Filmes folgte, erzählte er, dass die Kinder einmal so voll die Nase von dem Ganzen hatten, dass sie die Leichen in den Stadtgraben reingeworfen haben.

Eine Filmszene mit Jerzy Podlak und Jürgen Hempel.

Eigentlich könnten die Erinnerungen eine Grundlage für weitere Reportagen sein. Jürgen Hempel berichtete über seine Freundschaft mit dem jüdischen Jungen Namens Kurt, nach dem er Jahrzehnte lang suchte und ihn endlich vor kurzem gefunden hat. Jerzy Podlak dagegen wollte unbedingt wissen, wer in seiner Villa, die im Stadtteil Carlowitz (An der Klostermauer, heute Wincentego Pola) liegt, vor dem Krieg gewohnt hat. Denn das, was ihn besonders überrascht hat, waren Gipsabgüsse von Kamelen, Bronzeabgüsse von den Affen, Pinguinen (alle wurden leider von den Russen genommen) und ein großer Werktisch. Die Kinder nannten das Haus „Museum“. Es stellte sich heraus, dass dort die Künstlerin Inge Uhthoff mit ihrem Mann, dem Breslauer Architekten, wohnte. Jerzy Podlak ist es gelungen, den Kontakt mit dem Sohn der ursprünglichen Besitzer – Prof. Nils Jaeger aus Bremen aufzunehmen. Er war später oft zu Gast in Breslau und bei Podlaks.

Die Journalistin Joanna Mielewczyk-Gaweł bei den Dreharbeiten zum Film „Los / Das Schicksal“. Foto: Facebook Joanna Mielewczyk

Zeitzeugen für die Zukunft
Der Film wird noch einmal am 17.02.2023 im Kino Nowe Horyzonty in Wrocław gezeigt. Nach dem Film findet das Gespräch mit der Regisseurin Joanna Mielewczyk-Gaweł statt. Die Reportage soll man nicht aus der Perspektive eines Filmkenners betrachten. Alles war so gedreht, wie es in der Wirklichkeit bei dem ersten Treffen der Protagonisten aussah. Keine der Aufnahmen wurden wiederholt. Es ging darum, die Zeitzeugen für zukünftige Generationen aufzunehmen. Der Film darf wegen Archivaufnahmen nicht im Internet verbreitet werden, nur bei organisierten Filmvorführungen. Die Autorin wünscht sich, dass er in den Schulen als Unterrichtsmaterial verwendet wird.

Text & Bilder (wenn nicht anders angegeben): Małgorzata Urlich-Kornacka