Tschechisch-Schlesien und die Invasion von 1968
In der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968 sind auf Moskaus Befehl Truppen von vier Staaten des Warschauer Paktes in der Tschechoslowakei einmarschiert.
Mit dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes am 20./21. August 1968 in die Tschechoslowakei wurde dem vom liberalen Flügel der Tschechoslowakischen Kommunistischen Partei unter Alexander Dubček initiierten Reformkurs endgültig ein Ende gesetzt. Die schlesischen Gebiete der damaligen Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik besetzten die sowjetische 38. Armee, die sowjetische 11. Gardearmee und die polnische 2. Armee. Das tschechoslowakische Militär blieb in den Kasernen und leistete keinen Widerstand. Dies entsprach den Anweisungen des Prager Verteidigungsministeriums, da die Regierung des Landes einen bewaffneten Konflikt mit dem deutlich überlegenen Gegner um jeden Preis vermeiden wollte. Am Grenzübergang in Tschechisch-Teschen/ Český Těšín, aber auch an einigen weiteren Grenzübergängen wurden tschechoslowakische Zoll- und Grenzschutzbeamte von sowjetischen Invasionstruppen festgenommen. Mancherorts unterstützten auch moskautreue Agenten des tschechoslowakischen Sicherheitsdienstes StB die sowjetischen Truppen bei ihrem Einmarsch.
Widerstand ohne Waffen
Als die Einwohner der tschechisch-schlesischen Städte am Morgen des 21. August 1968 auf den Straßen sowjetische und polnische Panzer sahen, erlebten sie einen Schock, denn mit einer Invasion wurde nicht gerechnet. Die Enttäuschung unter der Bevölkerung, die Dubčeks Reformkurs mehrheitlich unterstützte und auf den „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ hoffte, war groß und die Vergleiche mit dem Verrat von München, wie man das Abkommen von 1938 zu bezeichnen pflegte, allgegenwärtig. Vor den Läden bildeten sich lange Schlangen, weil zum damaligen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden konnte, dass es zu einem richtigen Krieg kommen würde. Anders als in Prag wurden in Tschechisch-Schlesien keine Barrikaden errichtet – nur passiver Widerstand wurde geleistet. An die Häuserwände malte man Parolen – zum Teil auf Russisch und auf Polnisch – mit denen man die Besatzer zum Abzug aufrief. Außerdem wurde in vielen Betrieben gestreikt. An einen aktiven Widerstand dachte man in der Regel nicht, weil man sich der Übermacht des Gegners im Klaren war und im Falle einer bewaffneten Auseinandersetzung eine Wiederholung des Budapester Szenarios von 1956 befürchtete.
Insgesamt verloren während der Invasion ca. 100 tschechoslowakische Bürger ihr Leben. In Tschechisch-Schlesien kamen im Zusammenhang mit der Intervention des Warschauer Paktes vier Menschen ums Leben. Sie wurden allerdings nicht erschossen, sondern starben infolge der Verkehrsunfälle mit sowjetischen Militärfahrzeugen. Da die Führung in Moskau nicht nur mit einem Widerstand der tschechoslowakischen Armee rechnete, sondern auch mit einem Guerillakrieg, herrschte unter den Besatzungstruppen vor allem in den ersten Tagen der Invasion große Angst vor Hinterhalten. Aus diesem Grund hielten Militärkolonnen und einzelne Fahrzeuge oft nicht an, wenn sich Menschen oder Autos auf ihrem Weg befanden. Die sowjetischen Soldaten waren stark indoktriniert und glaubten oft – anders als die Angehörigen anderer Armeen des Warschauer Paktes – dass in der Tschechoslowakei tatsächlich eine aus dem Westen inspirierte Konterrevolution stattfand.
Im tschechischen Teil des Teschener Schlesiens lebte damals und lebt auch heute eine polnische Minderheit. Die Polen mit tschechoslowakischen Pässen verhielten sich in der Regel ihrem Wohnstaat gegenüber loyal und empfunden den Einmarsch der Polnischen Volksarmee als Aggression. Ähnlich reagierten auch die in der Slowakei lebenden Ungarn auf die Beteiligung der Ungarischen Volksarmee an der Intervention. In Dubčeks Reformen setzten alle nationalen Minderheiten der Tschechoslowakei große Hoffnungen, weil sie sich dadurch u. a. eine Dezentralisierung des Staates und die Erweiterung ihrer Rechte erhofften.
Einen Monat nach dem Einmarsch wurde die Militäroperation, notabene die größte in Europa seit 1945, offiziell abgeschlossen und die bulgarischen, ungarischen und polnischen Truppen aus der Tschechoslowakei abgezogen (die letzteren waren u. a. im schlesischen Troppau/ Opava stationiert gewesen). Im Land blieben aber die sowjetischen Streitkräfte, die mehrere Stützpunkte errichteten. Das Hauptquartier befand sich in dem ca. 100 km von Prag entfernten Milovice. Außer diesem Ort und dem slowakischen Zvolen existierte im schlesischen Freundenthal/ Bruntal einer der größten sowjetischen Militärstützpunkte in der Tschechoslowakei, in dem mehrere Tausend Soldaten stationiert waren.
Nach der Intervention setzte die sogenannte Normalisierung ein, in deren Rahmen die Befürworter der Reformen ihrer Ämter enthoben wurden. Säuberungen fanden in allen Bereichen des öffentlichen Lebens statt und mehrere Hunderttausend Bürger wanderten aus. Die letzten Soldaten der Sowjetischen Armee verließen die Tschechoslowakei erst 1991, zwei Jahre nach dem Systemwechsel.
Text: Dawid Smolorz