Bericht vom 7. Schlesien-Kolloquium 2023

Am 27.-28. Oktober 2023 fand das Schlesien-Kolloquium erstmalig am Oberschlesischen Landesmuseum in Ratingen statt

Deutsche und polnische Teilnehmende berichteten über ihre aktuellen Forschungsarbeiten mit Schlesienbezug.

Am 27. und 28. Oktober 2023 fand das 7. Schlesien Kolloquium am Oberschlesischen Landesmuseum (OSLM) in Ratingen (Hösel) statt. Die Tagung für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit schlesischem Forschungsthema fand erstmals 2016 unter Regie des Kulturreferates für Schlesien am Schlesischen Museum zu Görlitz in Herrnhut bei Görlitz (Sachsen) statt. 2023 war nun erstmals das Oberschlesische Landesmuseum in Ratingen der Veranstaltungsort.

Die Konferenz richtete sich an fortgeschrittene Studierende und Promovierende sowie Post-Docs aller wissenschaftlichen Fachrichtungen. Sie waren eingeladen, ihre aktuellen Forschungsarbeiten mit Schlesienbezug zu präsentieren, Ideen auszutauschen und ihre Netzwerke zu erweitern.

Dr. David Skrabania, Direktor des Oberschlesischen Landesmuseums in Ratingen, eröffnete das 7. Schlesien-Kolloquium. Fot. OSLM

Zu Beginn richteten zunächst die Veranstalter Dr. David Skrabania, Direktor des Oberschlesischen Landesmuseums, Agnieszka Bormann, Kulturreferentin für Schlesien am Schlesischen Museum zu Görlitz und Lisa Haberkern von der Stiftung Kulturwerk Schlesien ihre Grüße aus und wünschten eine erfolgreiche Tagung.

Den Anfang machte Jannik Gorewoda (Universität Bielefeld) mit einem Vortrag zum mittelalterlichen Görlitz. Im von Dr. Andrzej Michalczyk (Ruhr-Universität Bochum) geleiteten Panel zur Geschichte Schlesiens stellte Gorewoda einen Bezug zwischen Mittelalter und Gegenwart her, indem er die Frage stellte, wie mit Krisen in einer Gesellschaft umgegangen wurde, die sich derer weitaus bewusster war, als dies in der heutigen Zeit der Fall sei.

Im zweiten Vortrag des Geschichtspanels stellte Luisa Jagusch (Ruhr-Universität Bochum) das Buch „Ludowa historia Polski“ von Adam Leszczyński vor, das sich mit der Geschichte der „Neunzig Prozent“ des polnischen Volkes beschäftigt. Das Buch behandelt weder Kriege noch Aufstände, sondern, wie deren Folgen die Beziehungen zwischen den Menschen in Polen, „den Polen, Juden, Ukrainern und anderen Minderheiten“ verändert haben. Jagusch stellte heraus, dass die „Warschau-zentralistisch“ orientierte Publikation es verfehle, die Peripherie zu beleuchten. Schlesien komme in dem Buch praktisch nicht vor.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 7. Schlesien-Kolloquiums vor dem Haus Oberschlesien, dem Sitz der Trägerstiftung des OSLM. V.l.n.r., obere Reihe: Prof. Krzysztof Ruchniewicz, Dr. Gregor Ploch, Wiktoria Tombarkiewicz, Jannik Gorewoda, Agnieszka Bormann, Lisa Haberkern, Dr. Rafal Biskup; untere Reihe: Dr. Jerzy Gorzelik, Dr. Marius Hirschfeld, Izabela Paszko, Luisa Jagusch, Anna Maja Michalska, Marta Magdalena Kaczmarczyk. Es fehlen auf dem Foto: Dr. David Skrabania und Dr. Andrzej Michalczyk, die ebenso teilgenommen haben. Fot. OSLM

Im zweiten Teil des Tages moderierte Dr. Gregor Ploch (Bildungswerk St. Otto, Zinnowitz) das Panel, das sich mit Identität in Schlesien auseinandersetzte. Dr. Jerzy Gorzelik (Uniwersytet Śląski) sprach zur Schrotholzkirche als geteiltem Erinnerungsort und zeigte auf, dass die für Oberschlesien typischen Kirchenbauten Schlüsselelemente der oberschlesischen Kulturlandschaft seien und Bedeutungsträger innerhalb konkurrierender nationaler Narrative. Sowohl für das liberale als auch das konservative Lager war die Schrotholzkirche vor 1945 ein Bezugspunkt. Und auch nach 1945 bildete sie ein beliebtes Motiv, sowohl in der staatlichen polnischen Erinnerungspolitik als auch in den Kreisen der Heimatvertriebenen.

Wiktoria Tombarkiewicz (Uniwersytet Jagielloński) referierte anschließend über polnische Identität und Kultur Schlesiens. Der Untersuchungszeitraum ihrer Studie ist rund um die Feiern des „Polnischen Millenniums“ (1000 Jahre Christentum in Polen, sog. Taufe Polens im Jahre 966) 1956–1967 angesiedelt, in der sich der Konflikt zwischen kommunistischem Staat und katholischer Kirche besonders zuspitzte. Tombarkiewicz spürt Fragen nach, wie der polnische Staat in dieser Zeit versuchte das „Polentum“ in Schlesien zu verbreiten und wie der Blick aus anderen polnischen Regionen auf Schlesien beschaffen war. Dies diskutierte Tombarkiewicz anhand eines umfangreichen Quellenkorpus.

Zum Abschluss des ersten Tages präsentierte Filmproduzent Ronald Urbanczyk zwei seiner Werke (Kamienica. das Haus DE/PL 2006 und Leben an der Oder-Neiße. 30 Jahre deutsch-polnische Grenzleidenschaft DE/PL 2021) und stand danach für Fragen zur Verfügung.

Der zweite Tag begann mit dem Panel Sprache/ Kommunikation /Diskurs, das von Dr. Rafał Biskup (Uniwersytet Wrocławski) moderiert wurde. Zunächst referierte Izabela Paszko (Institut für Zeitgeschichte München) zu informellen Kommunikationsformen wie Witzen, Gerüchten und Liedern in Oberschlesien zur Zeit der NS-Herrschaft und über die Wechselwirkung dieser mit offiziellen Informationen. Paszko zeigte gewinnbringend auf, wie das Terrorregime die informelle Kommunikation beeinflusste.

Marta Magdalena Kaczmarczyks (Universität Hamburg) sprachwissenschaftlich orientierter Vortrag behandelte anschließend die Schlesische Varietät und die Bemühungen darum, diese zu einer anerkannten Regionalsprache aufwerten zu lassen. Untersucht wurde der Diskurs auf Twitter (heute X) zur Erklärung Donald Tusks vom März 2023, auch ebenjenes Ziel zu verfolgen.

Lisa Haberkern (Kulturwerk Schlesien) moderierte in der Folge das letzte Panel, das sich mit der Kultur Schlesiens beschäftigte. Anna Maja Michalska (Uniwersytet Wrocławski) beschloss die Vortragsreihe mit einem Referat zu schlesischen alba amicorum im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Alba amicorum waren eine Art Stammbücher, die zu dieser Zeit im Freundes- und Bekanntenkreis herumgereicht wurden und die mit künstlerischer Freiheit gestaltet werden konnten. Michalska wertete die Stammbücher als bisher von der Forschung vernachlässigte Quellen gewinnbringend aus.

Prof. Krzysztof Ruchniewicz bei der Zusammenfassung der Tagung. Fot. OSLM

Am Ende der Konferenz fasste Prof. Krzysztof Ruchniewicz (Uniwersytet Wrocławski) die Ergebnisse der Tagung zusammen und hob besonders die Zahl der Schlesienforscherinnen hervor, die wesentlich höher ausfalle, als noch vor einigen Jahren.

Teilnehmende und ihre Themen

Im Rahmen des 7. Schlesien-Kolloquiums 2023 wurden folgende Themen präsentiert und diskutiert (in alphabetischer Reihenfolge der Beteiligten):

  • Jannik Gorewoda: Unsicherheiten aushalten. Städtische Praktiken und Deutungen am Beispiel des spätmittelalterlichen Görlitz
  • Dr. Jerzy Gorzelik: Die oberschlesische Schrotholzkirche als geteilter Erinnerungsort
  • Luisa Jagusch, Buchvorstellung: „Ludowa historia Polski“ von Adam Leszczyński
  • Marta Magdalena Kaczmarczyk: Der Diskurs der Änderung des Status des Schlesischen auf Twitter – Eine kritische Diskursanalyse der Tweets zur „deklaracja radzionkowska“ von Donald Tusk
  • Anna Maja Michalska: Silesian alba amicorum from 18th and early 19th century – ignored sources for regional iconography and history
  • Izabela Paszko: What is said, what is heard? Communication and information outlets in Upper Silesia during the Second World War
  • Wiktoria Tombarkiewicz: Imaginary “Return to Motherland” in Iconosphere, Performance and Word. Polishness of Silesia in Discourses of Catholic Church and State Authorities during the Millennium Celebrations Period (1956– 1967)
Vorschau

2024 findet das 8. Schlesien-Kolloquium im Schlesischen Museum zu Görlitz statt. >>> Zur Ausschreibung

Text: Dr. Marius Hirschfeld, Projektkoordinator des 7. Schlesien-Kolloquiums am Oberschlesischen Landesmuseum in Ratingen

Besuchen Sie uns auf Facebook!