Dolní Vítkovice – Tschechiens stählernes Herz

Vor 25 Jahren erloschen die Hochöfen des einst größten Industriewerks der Habsburger Monarchie

Das revitalisierte Ensemble ist heute ein Besuchermagnet und der Stolz der schlesisch-mährischen Stadt Ostrau (Ostrava).

Eine Erfolgsgeschichte zum Thema Strukturwandel. Das revitalisierte Industrie-Ensemble „Dolní Vítkovice“ ist heute ein Besuchermagnet und der Stolz der mährisch-schlesischen Stadt Ostrau (Ostrava). Man kann sich deshalb nur schwer vorstellen, dass in den späten 1990er Jahren erwogen wurde, den Riesenkomplex abzureißen. Ostrau hörte damals langsam aber sicher auf, eine Stadt der Berg- und Hüttenwerke zu sein. Das größte Industriezentrum der Republik war auf der Suche nach einer neuen Identität und die industrielle Vergangenheit schien manchmal diese Suche zu erschweren. Am Ende gewann jedoch die Überzeugung, dass eine Stadt, die dem Eisen und der Steinkohle ihre Bedeutung innerhalb Österreich-Ungarns und später innerhalb des tschechoslowakischen Staates verdankte, das markanteste Relikt ihrer industriellen Vergangenheit nicht einfach so loswerden kann.

Nordteil des Komplexes „Dolni Vitkovice“. Quelle: Petr Štefek, Wikimedia Commons.

Im Rahmen des größten Revitalisierungsprojekts in der Geschichte des Landes, dessen Umsetzung 2009 begonnen hatte, verwandelte sich das industrielle Ensemble in ein multifunktionales Zentrum, das mittlerweile weit über die Grenzen der Tschechischen Republik bekannt ist. Konzertsäle, Museen, Bühnen unter freiem Himmel, Wissenschaftszentren für Erwachsene und Kinder, Cafés, Kletterwand – dies und vieles mehr erwartet die Besucher in dem Komplex „Dolni Vitkovice“. Hervorzuheben sei an dieser Stelle, dass die Hochöfen, Fördertürme und weitere historische Objekte – mit neuen Funktionen ausgestattet – überwiegend erhalten geblieben sind und weiterhin die städtische Landschaft prägen.

Konzert- und Veranstaltungshalle „Gong“. Quelle: Kenyh, Wikimedia Commons.

Seit 2012 finden das unter jungen Erwachsenen des tschechisch-slowakisch-polnischen Dreiländerecks sehr beliebte Festival „Colours of Ostrava“ und das Festival für elektronische Tanzmusik „Beats for Love“ auf dem Areal statt. Die Anlage hat den Status eines Nationalen Kulturdenkmals und ist ein Standort auf der Europäischen Route der Industriekultur (ERIH). Von dem riesengroßen Potenzial dieses multifunktionalen Komplexes zeugt eindeutig der Umstand, dass die von der ERIH empfohlene Aufenthaltsdauer in „Dolni Vitkovice“ zwölf (!) Stunden beträgt.

Festival „Colours of Ostrava“. Quelle: Stadtamt Ostrau / Magistrát Města Ostravy, Wikimedia Commons.

Die Anfänge der Industrie in der einstigen Stadt Witkowitz (Vítkovice), heute Stadtteil von Ostrau, reichen bis ins Jahr 1828 zurück. Damals ließ dort Erzbischof von Olmütz, Rudolf Johann von Österreich, den ersten Puddelofen errichten, um Gleise für die geplante Bahnlinie von Wien nach Galizien herzustellen. Seinerzeit galt der Witkowitzer Komplex, der aus einem Stahlwerk, einem Walzwerk, einem Bergwerk und einer Kokerei bestand, als größtes Industriewerk der Habsburger Monarchie. In den 1990er Jahren wurden die einzelnen Teilbetriebe stufenweise stillgelegt. Die Hochöfen erloschen endgültig 1998.

Blick von der Aussichtsplattform. Quelle: Palickap, Wikimedia Commons.

Eine kurze filmische Impression von „Dolni Vitkovice“:

Text: Dawid Smolorz