Erste Lesung des Gesetzentwurfs im Sejm erfolgte am 20. März
Während einer Wahlveranstaltung in Radzionkau (Radzionków) im Oktober 2023 sprach sich Donald Tusk für die Anerkennung des Oberschlesischen als Regionalsprache aus.
Während einer Wahlveranstaltung in Radzionkau (Radzionków) im Oktober 2023 kündigte Donald Tusk an, Oberschlesisch werde offiziell als Regionalsprache anerkannt, sollte seine Gruppierung, die Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska, KO) an die Macht kommen. Seit der gewonnenen Wahl setzen sich vor allem einige oberschlesische Abgeordnete der neuen Regierungspartei konsequent für die Umsetzung dieses Versprechens ein, das von den Medien als „Erklärung von Radzionkau“ (Deklaracja Radzionkowska) bezeichnet wird. Ein erster, bescheidener Erfolg war die Ankündigung Tusks, dass sein Kabinett in diesem Jahr ca. 460.000 Euro für die Entwicklung der Lehrpläne und Lehrbücher für den Oberschlesisch-Unterricht sowie für die Ausbildung von Lehrern zur Verfügung stellen würde. Diese Summe soll ermöglichen, das neue Fach bis 2026 an ausgewählten Schulen in der Region einzuführen.
Ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zur Anerkennung des Oberschlesischen als Regionalsprache war die erste Lesung eines entsprechenden Gesetzentwurfs im polnischen Parlament am 20. März. Die Abgeordnete der Bürgerkoalition Monika Rosa, die das Dokument im Warschauer Sejm vorstellte, sagte, dass linguistische Diskussionen darüber, ob Oberschlesisch eine Sprache oder ein polnischer Dialekt ist, sinnlos seien. Entscheidend sei der Wille von etwa 470.000 Bürgern Polens, die es bei der letzten Volkszählung als Sprache alltäglicher Kommunikation angegeben haben, so Rosa. Zwei Fraktionen (Recht und Gerechtigkeit PiS und Konfederacja) sprachen sich für die Ablehnung des Gesetzentwurfs aus. Die parlamentarische Mehrheit (außer der KO auch Polska 2050, Lewica [die Linke] und die Bauernpartei PSL) stimmte hingegen für dessen Weiterleitung an den Sejm-Ausschuss für nationale und ethnische Minderheiten. Dort wird über den Entwurf weiter beraten.
Die Bestrebungen um die Anerkennung des Oberschlesischen unterstützt und koordiniert seit kurzem der Rat der oberschlesischen Sprache – ein Ende 2023 von Schriftsteller Szczepan Twardoch und Übersetzer Grzegorz Kulik ins Leben gerufenes Gremium. Mitglieder des Rates sind etwa 20 Personen: Wissenschaftler, Regionalforscher, Schriftsteller und Journalisten.
Seit 2007 gibt es Bestrebungen um die Anerkennung des Oberschlesischen als Regionalsprache. Bis Herbst 2023 wurden sie jedoch von keiner einflussreichen politischen Gruppierung in Polen offiziell unterstützt. Selbst die Partei Donald Tusks war während ihrer Regierungszeit 2007-2015 dieser Idee nicht wohlgesonnen. Laut dem 2005 verabschiedeten Minderheitengesetz ist Kaschubisch die einzige anerkannte Regionalsprache Polens. Das Oberschlesische gilt offiziell als westpolnischer Dialekt, der viele Entlehnungen aus dem Deutschen und dem Tschechischen enthält und beim slawischen Wortschatz zum Teil Konstruktionen verwendet, die für die deutsche Sprache charakteristisch sind. In deutschen Publikationen wurde die slawische Sprache Oberschlesiens früher als Wasserpolnisch bezeichnet.
Text: Dawid Smolorz