Vor 100 Jahren wurde der Sportverein im Industrieort Bismarckhütte gegründet
Der polnische Rekordmeister ist einer von zwei erfolgreichsten und beliebtesten Fußballvereine Oberschlesiens.
„Ruch“ ist nicht nur zusammen mit „Górnik” polnischer Co-Rekordmeister (14 Titel). Auch ist er neben dem Club aus Hindenburg/ Zabrze einer von zwei der mit Abstand erfolgreichsten und beliebtesten Fußballvereine Oberschlesiens. Gegründet wurde er von polnischen Nationalaktivisten in der turbulenten Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, als eine Volksabstimmung über die staatliche Zugehörigkeit der Region entschieden sollte. 1922 wurden Bismarckhütte und die nahe Stadt Königshütte Polen zugesprochen, sodass „Ruch“ bereits seit 1927 in der polnischen Liga spielte. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges feierten die „Blauen“ fünf Mal den Titel des polnischen Meisters, davon viermal in Folge. Seit 1934 war Ernst Willimowski, (oder Ernest Wilimowski) der junge Star der polnischen Liga – nach einem Wechsel vom 1. FC Kattowitz ein Spieler von „Ruch“. Von vielen Fachleuten wird der Stürmer bis heute als größtes Fußballtalent Oberschlesiens aller Zeiten bezeichnet. Fritz Walter, der Weltmeister von 1954, sagte über ihn: „Für mich der größte aller Torjäger, er erzielte mehr Tore, als er Chancen hatte.“ Da der frühere polnische Nationalspieler Willimowski nach dem September 1939 dreizehn Spiele für die deutsche Nationalmannschaft absolvierte, wurde er im kommunistischen Polen als Verräter und Renegat abgestempelt. Eine weitere Legende des Vereins ist Gerard Cieślik, der unter anderem bei der für die polnische Fußballgeschichte sehr wichtigsten und stark politisch geladenen Partie Polen-Sowjetunion (2:1) 1957 für die Weiß-Roten zwei Tore erzielte.
Im 21. Jahrhundert sind die Fans von „Ruch“, einem Verein, der in der Zeit der Volksabstimmung zur Stärkung des Polentums in der Region gegründet wurde, in den polnischen Stadien als Befürworter der oberschlesischen Autonomie bekannt. In ihren Choreos erinnern sie zudem auch an die deutsche Geschichte der Region. 2009 verbot der Polnische Fußballbund PZPN den Ruch-Fans zeitweise sogar das Aufhängen eines Banners mit dem deutschsprachigen Schriftzug „Oberschlesien“. Für medialen Wirbel sorgten die Anhänger der „Blauen“ überdies 2012 beim Finale des Landespokals, als sie während des Abspielens der polnischen Nationalhymne „Górny Śląsk” (Oberschlesien) skandierten. Eine Zeit lang spielte die Ruch-Mannschaft in Trikots, auf denen der oberschlesische Adler und die Aufschrift „Górny Śląsk” zu sehen waren – für polnische Verhältnisse eine sehr seltene Manifestation des regionalen Patriotismus.
Heute spielt der verdiente Verein in der vierten polnischen Liga. Noch 2014 feierten die „Blauen“ die Bronzemedaille der polnischen Ekstraklasa, zwei Jahre zuvor wurden sie sogar Vizemeister. Doch zwischen 2017 und 2019 folgten drei Abstiege in Folge, sodass die Stimmung beim 100. Gründungsjubiläum alles andere als enthusiastisch ist.
Text: Dawid Smolorz