Zur Erinnerung an den Schriftsteller Hans Lipinsky-Gottersdorf (1920-1991)

Vor einhundert Jahren kam im oberschlesischen Leschnitz (Leśnica) Hans Lipinsky-Gotterdorf zur Welt

Ein Schriftsteller, der in Deutschland weitgehend in Vergessenheit geriet und in Polen nie bekannt war.

Hans Lipinsky-Gotterdorf wurde am 5. Februar 1920 in Oberschlesien, unter dem St. Annaberg, geborgen. Seine Kindheit verbrachte Lipinsky-Gotterdorf in Stolp/Pommern (Słupsk) und im Kreuzburger Land, einem in mehrerer Hinsicht spezifischen Teil Oberschlesiens. Zwar war es wie die meisten Kreise der Region traditionell multiethnisch, doch es bildete eine protestantische Insel in der sonst überwiegend katholischen Provinz. Der zweite Faktor, der den Alltag in der dortigen Gegend prägte, war die Nähe der Grenze zu Polen bzw. zum russischen Teilungsgebiet Polens. In vielen seiner Werke, vor allem aber in dem unvollendet gebliebenen Roman „Die Prosna-Preußen“, spielt die einstige Grenzregion die Hauptrolle. In seinem Opus magnum stellt der Autor, der den Familiensitz Gottersdorf bei Kreuzburg sogar seinem Namen anfügte, gleichzeitig ein idyllisches und ein kritisch-realistisches Bild einer untergegangenen Welt dar, in der „slawische Preußen“ zu Hause waren, wie er die Einwohner dieses Landstrichs im Norden Oberschlesiens manchmal bezeichnete. Es handelt sich dabei nicht um irgendeine Grenzregion, sondern um eine Gegend, in der die Grenze aufgrund ihres langen Bestehens etwas Selbstverständliches war. Schon seit dem Mittelalter trennte dort das unauffällige Flüsschen Prosna Schlesien von den polnischen Gebieten. Menschen, die oft nur wenige Kilometer voneinander lebten und ähnliche Sprachen verwendeten, wurden viele Jahrhunderte lang von verschiedenen Staaten und Kulturkreisen geprägt. Mit diesem Phänomen sowie mit dieser Grenzregion Preußens setzte sich Lipinsky-Gotterdorf in seinem wichtigsten Werk auseinander.

Kurioserweise verbrachte der Schriftsteller, der seiner Heimat ein literarisches Denkmal gesetzt hat, die Mehrheit seines Lebens außerhalb von Schlesien. Und zwar nicht nur, weil die Familie eine Zeit lang in Hinterpommern lebte. Als 1945 der Zweite Weltkrieg und damit auch der Kriegsdienst Lipinsky-Gotterdorfs zu Ende waren, war eine Rückkehr ins Kreuzburger Land nicht mehr möglich. Er ließ sich daher im Raum Köln nieder, wo er unter anderem als Bauarbeiter und Kranführer tätig war, um sich mit der Zeit dem Schreiben zu widmen. Zwischen 1953 und 1991 erschienen ca. 30 Erzählungen und Romane des Autors. Er starb am 3. Oktober 1991 in Köln.

Einige Essays aus dem nicht-veröffentlichten Sammelband „Die unsichtbare Grenze – Preußische Bekenntnisse” sind hier abrufbar.

Text: Dawid Smolorz
Foto: Dawid Smolorz, Leonie Franz