Eine (fast) vergessene Sehenswürdigkeit
Ca. 2,5 Kilometer vom Myslowitzer Ring befindet sich einer der größten Touristenmagnete Oberschlesiens in den Zeiten der Belle Epoque.
Der Zusammenfluss der Przemsa und der Weißen Przemsa war über mehrere Jahrzehnte hinweg eine Attraktion schlechthin. Denn dort trafen die Grenzen der drei europäischen Großmächte Deutschland, Österreich-Ungarn und Russland aufeinander. Formell wurde der Ort seit 1871 als Dreikaisereck bezeichnet, zuvor markierten die beiden Flüsse ja die Grenzen von zwei Kaiserreichen (Russland, Österreich-Ungarn) und einem Königreich (Preußen). Erst mit der Vereinigung Deutschlands erhielt die Gegend den Namen, unter dem sie nicht nur in die lokale Geschichte eingegangen ist.
Als sich im ausgehenden 19. Jahrhundert immer mehr Menschen Reisen leisten konnten, wurde der Ort für den Fremdenverkehr entdeckt. Vom Myslowitzer Stadtzentrum führte zum Dreikaisereck eine Promenade mit Gaststätten, in denen man sich stärken und erholen konnte. Am Ziel hatten die Besucher wiederum die Möglichkeit, verschiedene Souvenirs zu erwerben, auch Ansichtskarten, die sich mittlerweile unter reiselustigen Teilen der Gesellschaft großer Nachfrage erfreuten. Mit Interesse bestaunten die Touristen die deutschen, die russischen und die österreichischen Grenzpatrouillen, wobei die Grenzkosaken für das deutsche Publikum beinahe exotisch wirkten. Der Gedanke, gleichzeitig einen Blick auf die Gebiete dreier großer Staaten werfen zu können, war auch für Besucher von außerhalb Oberschlesiens verlockend. 1907 wurde auf einer Erhebung auf deutscher Seite ein 22 Meter hoher Bismarckturm errichtet, der die Attraktivität dieses Ortes zusätzlich erhöhte. Zu erwähnen sei an dieser Stelle, dass die Gebiete am österreichischen Ufer nach den Teilungen Polens im späten 18. Jahrhundert unter die Kontrolle Wiens gerieten und jene am russischen nach dem Wiener Kongress von 1815.
Der deutsche und der österreichische Teil des Dreikaiserecks waren durch eine Eisenbahn- und eine Fußgängerbrücke miteinander verbunden. Der Grenzübertritt war völlig unkompliziert, da die Untertanen Kaiser Wilhelms und Kaiser Franz-Josephs weder ein Visum noch einen Pass brauchten, um das jeweilige Nachbarland zu besuchen. Die Grenze zum Zarenreich durfte dagegen an dieser Stelle nicht passiert werden, auch existierte auf russischer Seite keine touristische Infrastruktur.
Die Grenzen am Dreikaisereck verschwanden in zwei Etappen. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, besetzten die deutschen und die österreichisch-ungarischen Truppen zwar bereits in den ersten Tagen des Konflikts die angrenzenden Gebiete Russisch-Polens, doch Grenz- und Zollkontrollen wurden nicht aufgehoben. Erst 1918, nachdem der polnische Staat wiederentstanden war, hörte die Grenze zwischen Russland und Österreich-Ungarn hier auf zu existieren, da die beiden Seiten nun im polnischen Staatsgebiet lagen. Über eine kurze Zeit bildete hier noch die Przemsa die deutsch-polnische Grenze. Doch auch sie verschwand als Ostoberschlesien und damit auch Myslowitz 1922 an Polen fielen. Anfang der 1930 Jahre wurde der Bismarckturm als Relikt der deutschen Vergangenheit im nun polnischen Staatsgebiet abgerissen. Da Polen kein Interesse daran hatte, die Erinnerung an einen Ort aufrechtzuerhalten, an dem die Grenzen der Teilungsmächte aufeinandertrafen, verlor diese Gegend allmählich jeden touristischen Charakter und geriet in Vergessenheit.
Heute werden Versuche unternommen, die einstige Sehenswürdigkeit touristisch wiederzubeleben. Der Stadt Sosnowitz/Sosnowiec, zu der das ehemals russische und das österreichische Ufer des Dreikaiserecks gehören, gelingt dies bis jetzt besser als dem oberschlesischen Myslowitz. Auf der Sosnowitzer Seite führt ein markierter Weg an den Zusammenfluss der zwei Przemsa, auch gibt es dort eine bescheidene touristische Infrastruktur mit überdachten Sitzplätzen und einer Anlegestelle für Paddelboote. 2012 wurde zudem auf ehemals russischer Seite eine touristische Fahrradroute entlang der ehemaligen Grenze eröffnet. Einen ihrer Endpunkte markiert das Dreikaisereck.
Text: Dawid Smolorz