Schlesische Solidarität

Auch in Oberschlesien kommen Tausende von Flüchtlingen an

Hilfstransporte, Waffenlieferungen, Aufnahme von Flüchtenden: Polen spielt im Krieg Russlands gegen die Ukraine eine wichtige Brückenrolle. 

Würde man die bislang an die Ukraine und die Ukrainer geleistete Hilfe nach Staaten klassifizieren, würde Polen zur Spitze zählen. Die Unterstützung umfasst hunderte Hilfstransporte aus Polen in die Ukraine, die Lieferung defensiver Waffen oder lautstarke Sanktionsforderungen, die mit am schärfsten in Warschau formuliert werden. Vor allem aber nimmt Polen die weitaus meisten Flüchtenden auf, bislang sind es bereits über 1,6 Millionen Menschen, und es werden täglich mehr. Ein Großteil dieser Menschen steuert die Großstädte an, vor allem Warschau, Krakau oder Breslau. Doch inzwischen kommen ukrainische Flüchtlinge im ganzen Land an, auch in kleinen Ortschaften und Dörfern – etwa, wenn sie dort bereits Bekannte haben, oder Polen dort Wohnraum zur Verfügung stellen. „Hier in einer privaten Wohnung, die nach dem Tod des Inhabers leer stand, sind zwei Familien untergekommen“, sagt eine 73-Bewohnerin des kleinen Dorfes Zawada 15 km westlich von Gleiwitz/Gliwice. „Ich habe mit den Frauen gesprochen, als sie mit ihren Kindern auf dem Spielplatz waren. Irgendwie konnten wir uns verstehen.“ Die Verständigung ist in der Tat nicht das größte Problem. Denn zum einen ist die ukrainische Sprache der polnischen durchaus ähnlich. Zum anderen aber gibt es etliche zweisprachige Personen, ukrainische Studenten, die zuvor bereits in Polen lebten und arbeiteten und die dieser Tage und Wochen helfen.

Fot. Anna Lewańska / Agencja Wyborcza.pl

In den beiden oberschlesischen Wojewodschaften Śląskie und Opolskie werden Tausende von Flüchtlingen aufgenommen. Auf dem zentralen Bahnhof von Kattowitz hat die städtische Feuerwehr im Auftrag der Regionalverwaltung der Wojewodschaft die Organisation bei der Erstankunft der Menschen übernommen. Sie kooperiert mit dem Zentrum für Krisenbewältigung der Wojewodschaft. Mehrere Zelte stehen auf dem Bahnhofsvorplatz, es gibt heiße Getränke, Essen, Kleidung. Vor allem aber wird von hier aus die Verteilung der Menschen auf städtische und regionale Unterkünfte koordiniert. „In den letzten Tagen beobachten wir eine starke Zunahme der hier neu ankommenden Flüchtlinge“ sagt Feuerwehr-Offizier Paweł Krótki. „Wir arbeiten eng mit den regionalen Behörden zusammen und erhalten Informationen, wo es in der Region Möglichkeiten der Unterbringung gibt.“ Es handele sich um unterschiedliche Einrichtungen: Turnhallen in Schulen, Privatwohnungen, auch die Feuerwehren. Der regionale Krisenstab kooperiere mit den Städten der Region. Doch Kattowitz und auch die Region zählt nicht zu den Hauptzielorten der Flüchtlinge. „Wenn die Endstation des Zuges, der von der Grenze kommt, in Kattowitz ist, dann sind es sehr viele Menschen, die hier aussteigen, fährt er nur durch und weiter Richtung Westen, sind es weniger. Um eine Größenordnung zu nennen: nur am heutigen Samstag sind bei uns hier in Kattowitz etwa 500 Menschen angekommen – und die Tendenz ist steigend.“

Es ist schwierig, verlässliche Zahlen zu nennen. Noch vor einer Woche sprachen die regionalen Behörden in der Wojewodschaft Schlesien von lediglich 5500 registrierten Geflüchteten – doch die Zahlen der Angekommenen ist deutlich höher. Denn die von den lokalen und regionalen Behörden offiziell registrierten Flüchtlinge bilden nur einen Teil der Menschen ab, tausende, die in Privatwohnungen unterkommen, sind (noch) nicht registriert. Auch reisen viele Menschen weiter, sowohl von Oppeln aus, wo das Gros der ankommenden Ukrainer das Bahnhofsgelände gar nicht erst verlässt, als auch in Kattowitz: alleine von hier aus starten täglich mehrere Züge in andere Städte Europas, unter anderem nach Berlin und Wien – die Fahrt ist für die Ukrainer kostenlos.

Fot. Anna Lewańska / Agencja Wyborcza.pl

Die Unterstützung für die Flüchtlinge ist vor Ort allenthalben sichtbar: in regionalen Zeitungen wie dem „Dziennik Zachodni“ werden ganze Seiten mit Informationen auf Ukrainisch abgedruckt; in Veranstaltungshallen der regionalen Städte sammeln Mitarbeiter der Kommunen, vor allem aber Ehrenamtler, Bürgerinitiativen und Vereine Spenden und verteilen sie an die Flüchtlinge; im Netz gibt es etliche Portale, auf denen Privatpersonen, Vereine und Unternehmen kostenlose Unterkünfte anbieten; die Wojewodschaft Oppeln hat 700 Betten in kommunalen Krankenhäusern für Flüchtlinge aus der Ukraine reserviert; Stiftungen organisieren Transporte mit Hilfsgütern in die Ukraine; auf Marktplätzen singen Polen und Ukrainer die ukrainische Hymne. „Das ist schrecklich, was in der Ukraine passiert, als einfacher Mensch kann man nicht so viel tun”, sagt Radoslaw, der gemeinsam mit seiner Frau und zwei Kinder eine ukrainische Mutter mit ihren zwei minderjährigen Kindern bei sich in Knurow bei Gleiwitz aufgenommen hat. „Das war eine spontane Regung, und wir haben auch die ersten genommen, die wir über ein Facebook-Portal gemeldet haben.“ Seinen Nachnamen will der Mann nicht nennen, denn es gehe nicht darum, sich hervorzuheben.

Fot. Anna Lewańska / Agencja Wyborcza.pl

Denn auch in Oberschlesien wird die Hilfe zu einem Großteil von Privatmenschen wie Czapla sowie Vereinen ehrenamtlich gestemmt, die schnell und spontan, aber auch sehr professionell handeln. Das leidenschaftliche Engagement und die Solidarität von zehntausenden von Polen kaschiert dabei die insgesamt noch mangelnde staatliche Koordination. Denn welches Verständnis die PiS-Regierung in Warschau immer noch von der Flüchtlingspolitik hat, zeigen jüngste Worte von Vize-Premierminister Henryk Kowalczyk: „Es ist ein Verdienst der Regierung, dass es heute in Polen keine Flüchtlingslager gibt.“ Tatsächlich muss die Regierung Morawiecki in Ermangelung entsprechender Strukturen nicht anders, als darauf zu bauen, dass Privatwohnungen wichtiges Standbein für die Unterbringung der Flüchtlinge werden – und bleiben. Um dies zu fördern, hat sie in einem jüngsten Sondergesetz privaten Gastgebern umgerechnet gut 250 Euro pro Person und Monat für einen Zeitraum von maximal zwei Wochen zugesagt, wenn sie ukrainische Flüchtlinge aufnehmen.

Vorerst steht also die Hilfe im Vordergrund – und auch Oberschlesien dürfte demnächst eine größere Rolle spielen, sollte die Verteilung der ankommenden Flüchtlinge besser funktionieren. Und jenseits der Unterbringung von Geflüchteten in der Region dürfte Kattowitz in den kommenden Wochen zu einem wichtigen Knotenpunkt für internationale humanitäre Hilfe werden: Über den stadtnahen Flughafen Pyrzowice, der ein wichtiger Cargo-Hub ist, landen seit dem 12. März Flugzeuge der Vereinten Nationen (UN), die humanitäre Hilfsgüter für die Menschen in der Ukraine bringen. Hoffentlich wird diese Hilfe nicht allzu lange in ein Land geliefert werden, das Krieg führen muss – sondern in eines, das den Wiederaufbau beginnen kann.

Text: Jan Opielka