Polnische Verwaltungsreform von 1975 und ihre Folgen für Oberschlesien

Polen in 49 Stücken

Im Juni 1975 setzte die Parteiführung in Warschau eine territoriale Neugliederung der Volksrepublik Polen um.

Anstatt der bisher 17 Wojewodschaften gab es fortan 49 Verwaltungsbezirke. Ihre Grenzen wurden meistens willkürlich gezogen – auf regionale Besonderheiten und historische Bindungen wurde nur selten Rücksicht genommen. Wichtiger als sie waren politische, ökonomische oder gar propagandistische Faktoren. Offiziell hatte die Reform das Ziel, durch eine neue Verwaltungsgliederung die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung des sozialistischen Staates zu fördern. Im Hintergrund stand jedoch ein Machtkampf innerhalb der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei PZPR. Mit der Gründung vieler relativ kleiner und schwacher Verwaltungsbezirke wollte die Warschauer Zentrale die Einflüsse der regionalen Parteisekretäre einschränken. Der aus dem Dombrowaer Kohlerevier stammende Erste Sekretär des Zentralkomitees der PZPR, Edward Gierek – bis 1971 Chef der Parteistrukturen in Kattowitz – wusste zu gut, dass einige regionale Sekretäre große Ambitionen hatten und im Ernstfall eine Gefahr für seinen Machterhalt darstellen würden. Ursprünglich war die Reform für den November 1975 geplant. Da sich aber aus den Regionen zunehmend kritische Stimmen vernehmen ließen, traten entsprechende Regelungen schon im Juni in Kraft. Somit wurde jeglichen Diskussionen die Grundlage entzogen. Außer der Bildung neuer Wojewodschaften wurden die Kreise abgeschafft, die in Polen bereits seit dem 14. Jahrhundert eine wichtige Verwaltungsebene darstellten. 

Polen gegliedert in 49 Woiwodschaften. Quelle: DemostenesBlade, Wikimedia Commons.

Weitreichende Folgen hatte die Reform von 1975 für Oberschlesien, das noch weiter zerstückelt wurde. An die neu gebildete Wojewodschaft Częstochowa (Tschenstochau)  wurden die bisherigen Kreise Olesno (Rosenberg) und Lubliniec (Lublinitz) angeschlossen, was in den besagten Gebieten große Unzufriedenheit hervorrief. Zu offenen Protesten kam es jedoch nicht. Eine kuriose territoriale Gestalt hatte die neue Wojewodschaft Katowice (Kattowitz), die im Osten fast bis Kraków (Krakau) reichte und zu etwa 50 Prozent aus nicht-oberschlesischen Gebieten bestand. Mit der Bildung der Wojewodschaft Bielsko-Biała (Bielitz-Biala)entstan d wiederum ein Verwaltungsbezirk, der etwa zu einem Drittel schlesisch war. Den Rest machten kleinpolnische Gebiete um Oświęcim (Auschwitz), Żywiec (Saybusch), Wadowice und Sucha Beskidzka aus.

Der frühere Schlesische Sejm, heute Sitz der regionalen Verwaltung in Kattowitz. Quelle: Jan Mehlich, Wikimedia Commons.

Die territoriale Gliederung von 1975 beeinflusst auch die heutige Situation noch. Zwar wurde mit der Reform von 1998/1999 die Zahl der regionalen Verwaltungsbezirke auf 16 reduziert, doch die Grenzen der beiden oberschlesischen Wojewodschaften (Oppeln und Schlesien) decken sich nur teilweise mit denen der historischen Region. Ein Mischgebilde ist die von Kattowitz aus regierte, vergrößerte Wojewodschaft Schlesien, die weite Teile der früheren Wojewodschaften Tschenstochau und Bielitz-Biala umfasst und trotz ihres offiziellen Namens zu mehr als der Hälfte aus den Gebieten der historischen Region Kleinpolen besteht.

Landratsamt Bielitz, zwischen 1975 und 1998 diente das Gebäude als Woiwodschaftsamt Bielitz-Biala. Quelle: Gaj777, Wikimedia Commons.

Text: Dawid Smolorz