Das Eulengebirge und die Geheimnisse des Zweiten Weltkrieges

Das Eulengebirge gilt als eines der geheimnisvollsten Gebirgsketten Niederschlesiens

Der Hauptgrund sind unterirdische Stollen des Megabauprojektes Riese.

Das Eulengebirge (pol. Góry Sowie) gilt als eines der geheimnisvollsten Gebirgsketten Niederschlesiens. Das verdankt es vor allem den unterirdischen Stollen, die in den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges zwischen 1943 und 1945 entstanden sind. Dieses nie zu Ende gebrachte Megabauprojekt, das das Kryptonym „Riese“ bekam, beschäftigt seit Jahren viele Historiker und Heimatforscher. Ohne Dokumente lässt sich aber schwer feststellen, wozu die kilometerlangen unterirdischen Stollen dienen sollten. Ihre Bestimmung bleibt eins der größten Rätsel des Zweiten Weltkriegs.

Von den insgesamt sieben bekannten unterirdischen Anlagen sind heute vier touristisch erschlossen: Geheimnisvolle Unterirdische Stadt Säuferhöhen (Tajemnicze Podziemne Miasto Osówka), Historisch-Touristisches Zentrum Riese, Wolfsberg-Stollen (Centrum Muzealno-Turystyczne Olbrzym, kompleks Włodarz), das Wüstewaltersdorfer Stollenmuseum – Stollenanlage Dorfbach (Muzeum Sztolni Walimskich – kompleks Rzeczka) und die unterirdische Route im Schloss Fürstenstein (Zamek Książ).

Im Schloss Fürstenstein sollte einer Theorie nach das Quartier für Adolf Hitler entstehen. Foto: Axel Lange

Die Arbeiten an dem Projekt Riese waren eines der größten Bau- und Bergbauprojekte des Zweiten Weltkriegs. Im stark hügeligen, bewaldeten Eulengebirge wurden ab 1943 unterirdische Gänge und die riesigen Hallen in äußerst harten Gneisfelsen gehauen. Zu welchem Zweck, weiß niemand genau.

Es gibt einige Theorien, die den Zweck der Stollen zu klären versuchen, unter anderem eine, laut deren sie als ein riesiges Bunkersystem für Adolf Hitler und seine engsten Mitarbeiter, das Oberkommando des Heeres (OKH), für das Luftwaffenkommando (OKL) und für den Reichsführer SS dienen sollten. Nebst dem Quartier des Führers (im Schloss Fürstenstein) sollte im Eulengebirge eine große Industrieanlage entstehen: vielleicht unterirdische Waffenfabriken für die Produktion der Bestandteile der Marschflugkörper V1 und V2, Chemie- bzw. Atomlabore, Forschungsinstitute, wo an einem Atombombenprototyp gearbeitet werden sollte. Da aber jegliche Dokumentation und Zeugen fehlen (die Häftlinge überlebten die harte Arbeit nicht oder wussten nur, dass sie unter der Erde gearbeitet haben), lässt sich keine der Theorien bestätigen. Das Geheimnis des Eulengebirges wurde bis heute nicht gelüftet. Deshalb entstehen immer wieder Gerüchte, dass in den bisher unentdeckten, verschütteten bzw. überfluteten Stollen das Nazigold und geraubte Kunstwerke versteckt lägen.

In der Unterirdischen Stadt Säuferhöhen (Osówka) kann hier unter anderem betonierte Wachen und eine Halle mit authentischer Verschalung von 1944 sehen. Foto: M. Urlich-Kornacka

Das Projekt Riese bekam im Dritten Reich die höchste Priorität. In der ersten Bauphase wurden die Arbeiten von der Schlesischen Industriegemeinschaft durchgeführt. Für die Arbeiten wurden Zwangsarbeiter aus ganz Europa eingesetzt. Die schlesische Industriegemeinschaft hatte jedoch keine Erfahrung mit dieser Art von Arbeit. Zum Jahreswechsel 1943/44 brach in den Zwangsarbeitslagern eine Typhusepidemie aus, so dass die Arbeiten in den Stollen nicht so wie geplant realisiert werden konnten. Im Frühjahr 1944 wurde die Organisation „Todt“ mit der Fortsetzung der Arbeiten beauftragt. Die gesamten Arbeiten wurden von nun an von Hauptsturmführer SS Dr. Siegfrid Schmelcher, einem ausgebildeten Architekten, überwacht. Als Sitz der Organisation wurde das Schloss der Familie Böhm am Rande des Eulengebirges in Tannhausen (heute Jedlinka) gewählt.

Schloss Tannhausen (Pałac Jedlinka) war während des Zweiten Weltkrieges der Sitz der Schlesischen Industriegemeinschaft und dann der Organisation „Todt“. Foto: A. Bormann

Ein so großes Bauvorhaben erforderte viel Geld, Spezialgeräte, Baumaterialien, Sprengstoffe und natürlich Bau- und Bergbauexperten und tausende Arbeiter. Sie wurden vom Konzentrationslager Groß-Rosen (Rogoźnica) in der Nähe von Striegau (Strzegom) hierhergebracht. Zunächst fünf, später (im Frühjahr und Sommer 1944) sieben weitere Arbeitslager (AL) wurden in der Umgebung von Wüstegiersdorf (Głuszyca) und Wüstewaltersdorf (Walim) eingerichtet.

Die Arbeiten in den Eulenbergen dauerten bis Februar/März 1945. Als die ersten Truppen der Roten Armee in das Gebiet einrückten, begann sofort die Ausfuhr von Maschinen, Ausrüstungen und Baumaterialien. Der Zutritt zur Baustelle war damals verboten. Deshalb ist es heute sehr schwierig, die Frage zu beantworten, wie viele Häftlinge bei dem Bau des Projekts ums Leben kamen, was und wo gebaut wurde. Was wurde von den Deutschen selbst und was von den Russen und den polnischen Sicherheitsdiensten zerstört? Eine Sache ist sicher: die Dauer des Baus, die Kräfte und die eingesetzten Mittel lassen vermuten, dass hier viel mehr gebaut wurde, als man heute sehen kann…

Wenn man die Stollen besucht, sollte man feste Schuhe und warme Kleidung nicht vergessen. In den unterirdischen Gängen herrscht eine konstante Temperatur von ungefähr 8 Grad Celsius. Man besichtigt sie mit örtlicher Führung. Fremdsprachliche Führungen müssen im Voraus gebucht werden.

Text: Małgorzata Urlich-Kornacka

Fotos: Agnieszka Bormann (Schloss Tannhausen/ Pałac Jedlinka), Axel Lange (Schloss Fürstenstein/ Zamek Książ), Małgorzata Urlich-Kornacka (andere)