200 Jahre Bistum und Erzbistum Breslau (Wrocław)

Tagungsbericht von Stefan P. Teppert 

Die Tagung organisierte am 3.-4.06.2023 der historisch-politische Arbeitskreis des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e. V.

Der historisch-politische Arbeitskreis des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e. V. veranstaltete am 3.-4. Juni 2023 im Erbacher Hof in Mainz eine Tagung über das zweihundertjährige Bestehen des Bistums und später Erzbistums Breslau. Thematisiert wurden politische und gesellschaftliche Entwicklungen und sich daraus ergebende Neu-Umschreibungen der Diözesangrenzen.

Vorstandsvorsitzender Dr. Bernhard Jungnitz begrüßte die Referenten und Teilnehmer und erläuterte das Programm der Tagung. Prof. Dr. Rainer Bendel, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft katholischer Vertriebenenorganisationen (AKVO) in Stuttgart, hatte die Tagung zusammen mit dem Heimatwerk organisiert, führte in das Thema ein und moderierte den weiteren Verlauf.

Bendel wies darauf hin, dass die Tagung bereits 2021 stattfinden sollte, 200 Jahre nach der Festlegung der neuen Grenzen des Bistums Breslau 1821, jedoch wegen der Corona-Pandemie verschoben werden musste. Es lohne sich aber auch zwei Jahre später, das Thema aufzugreifen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren, so Bendel, in mehreren deutschen Regionen Neu-Umschreibungen bzw. Neu-Gründungen von Diözesen notwendig geworden, gerade auch im Südwesten, wo nach der Zerschlagung des Bistums Konstanz das Bistum Rottenburg-Stuttgart neu gegründet wurde. Bistumsgrenzen seien häufig an veränderte Landesgrenzen angepasst worden, meist mit einem gehörigen zeitlichen Abstand, um nicht vorgreifend zu agieren. Für die Darstellung der politischen Zäsuren und daraus folgenden Entwicklungen hätten überaus kompetente Referenten gewonnen werden können.

Prof. Dr. Piotr Górecki aus Oppeln/Opole – ausgewiesener Fachmann für neuzeitliche Kirchengeschichte und kirchliche Zeitgeschichte – sprach über die 1821 von Papst Pius VII. ausgefertigte Bulle „De salute animarum“. Sie war in Wirklichkeit ein zwischen dem Vatikan und dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. ausgehandeltes Konkordat, das auf die veränderten politischen Verhältnisse in Europa nach den Napoleonischen Kriegen (1799 – 1815) und dem Wiener Kongress (1814 – 1815) parallel zu tiefgreifenden staatlichen Reformen reagierte. Vor allem normalisierte die Bulle den Status der katholischen Kirche und die Grenzen der Diözesen zum ersten Mal in der Geschichte des protestantischen Preußen. Die Diözese Breslau war als Bestätigung der Trennung aus der metropolitanen Union mit Gniezno direkt dem Heiligen Stuhl unterstellt, gewann an Umfang und Bedeutung und wurde 1930 – nach dem Plebiszit über Oberschlesien – zur Erzdiözese erhoben.

Dr. Maik Schmerbauch von der Universität Hildesheim, Leiter des Militärarchivs in Berlin, hatte krankheitshalber ein Video seines Vortrags geschickt. Er befasste sich mit der Seelsorge für die deutschen Katholiken in der polnischen Diözese Kattowitz, die nach der am 20. Oktober 1921 vom Völkerbund beschlossenen Abtretung Ostoberschlesiens an Polen entstanden war und nun zur polnischen Wojewodschaft Schlesien gehörte. Am 5. November 1922 wurde der streitbare Salesianerpater Augustyn Hlond dort als Administrator, ab 1925 als Erzbischof eingesetzt. Für die rund 150.000 deutschen Katholiken in Ostoberschlesien war die Abtrennung vom Breslauer Bistum und die befürchtete Polonisierung eine Katastrophe. Obgleich viele von ihnen in den Folgejahren auswanderten, sei dennoch das Zusammenleben möglich gewesen. Nicht zuletzt durch Hlonds Gründung des „Sonntagsboten“ hätten sie ihr kirchliches Leben bis 1938 nahezu normal weiterführen können.

Prof. Dr. Michael Hirschfeld lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Vechta. Er befasste sich in seinem Vortrag mit schlesischen Einflüssen auf den Berliner Katholizismus, besonders in der Übergangsphase von der 100jährigen Geschichte des Delegaturbezirks Brandenburg-Pommern zum eigenständigen Bistum Berlin 1930. Eine Abhandlung zu diesem Thema sei bislang ein Desiderat. Angesichts einer Fülle von Einflüssen bei eng miteinander verbundenen Orten, Institutionen, Personen und Kunstwerken kam der Referent zu dem Ergebnis, dass der Katholizismus in Berlin ohne den Rückhalt, den ihm die Verbindung mit dem Fürstbischöflichen Stuhl von Breslau gab, nicht lebensfähig gewesen wäre. Breslauer Geistliche und Ordensleute waren teils schon über Jahrzehnte in Berlin sozialisiert, teils gelangten sie nach der Erhebung zum Bistum in Schlüsselpositionen. Charismatische Persönlichkeiten waren Bernhard Lichtenberg und Maximilian Kaller.

Am Abend las die 1937 in Breslau geborene Literatin Monika Taubitz aus ihrem 2022 erschienenen Werk „Miniaturen der Erinnerung“. Taubitz hat sich stets für die Verständigung zwischen Deutschen und Osteuropäern eingesetzt. Viele ihrer Werke wurden ins Polnische übersetzt. Seit 1965 ist ihre Wahlheimat Meersburg. Wegen ihres Engagements für ihre Vorgängerin, die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, ist ihr als erster Frau die Ehrenbürgerschaft der Stadt verliehen worden. Von 1996 bis 2011 leitete sie den Wangener Kreis, eine 1950 gegründete Gesellschaft zur Pflege der Kultur und Geschichte Schlesiens, die jährlich den Eichendorff-Literaturpreis verleiht. Taubitz trug das Porträt der gar nicht frömmlerischen, sondern standfest-humorvollen Nonne Hubertina, der geliebten Tante ihrer Großfamilie Hildegard Zenker vor, danach ihre Erinnerungen an Max Tau, den 1897 in Beuthen geborenen Berliner Verlagsdirektor, der einen untrüglichen Spürsinn für junge Talente hatte und Deutschland mit der skandinavischen Literatur bekannt machte.

Am folgenden Morgen konnten die Tagungsteilnehmer in der Kapelle des Erbacher Hofs an einem Pontifikalamt teilnehmen, zelebriert von Bischof em. Prof. Dr. Jan Kopiec und Pater Blasius aus Gleiwitz. Weil die menschliche Gotteserkenntnis unzulänglich und die Dreifaltigkeit für uns auf immer ein Geheimnis ist, so der Bischof in seiner Predigt, bleibe uns nur übrig, das Heilige zu loben und zu preisen und Gott zu danken.

In seinem Tagungsvortrag rekapitulierte Bischof Kopiec vor allem die letzten 50 Jahre seit der Bulle Episcoporum Poloniae coetus vom 28. Juni 1972 von Papst Paul VI. Was in diesen Jahrzehnten in der Neuordnung der Kirche in Polen, in Annäherung und Versöhnung der Völker sowie dem Aufbau eines gemeinsamen deutsch-polnischen Bewusstseins erreicht werden konnte, sei ein langer Weg gewesen und nur auf dem Hintergrund der gesamtstaatlichen und gesamtnationalen Situation beider Länder in den vergangenen Jahrhunderten zu verstehen. Deswegen bereite ein objektives Bild dieser Geschichte gewaltige Schwierigkeiten. Es müsse auch die Wahrheit vom deutschen Erbe in Schlesien sowie von der Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus ihrer Heimat ans Licht kommen, ebenso aber die gegenseitigen kämpferischen Handlungen, die Zerstörung des Erbes des polnischen Volkes in der Vergangenheit sowie die Grausamkeit der Konzentrationslager.

Der Kirchenhistoriker Dr. Clemens Brodkorb, Leiter des Archivs der Zentraleuropäischen Provinz der Jesuiten in München, referierte über den westlich der Oder-Neiße-Grenze gelegenen Teil des Erzbistums Breslau, der am Ende des Zweiten Weltkriegs auf Grund des Potsdamer Abkommens vom 2. August 1945 nicht unter polnische Verwaltung kam, sondern der Sowjetischen Besatzungszone zugeschlagen wurde. In diesem Diasporagebiet des Erzbistums Breslau konnten Kapitelsvikar Ferdinand Piontek und dessen Nachfolger Gerhard Schaffran viel zu einer geordneten Seelsorge, zur Verbesserung der Beziehungen zwischen den Katholiken in Deutschland und Polen beitragen, durch Geschlossenheit den Einbruch des atheistischen Systems abwehren und den Kontakt zu Nichtglaubenden stärken, bevor das Gebiet nach dem Grenzvertrag 1972 zur Apostolischen Administratur Görlitz neu errichtet und 1994 pastoral begründet mit Rudolf Müller als Bischof zum Bistum erhoben wurde.

Bischof Kopiec stand zum Abschluss der Tagung den Teilnehmern Rede und Antwort über neuere Entwicklungen in der katholischen Kirche Polens, besonders seit der Wende am 4. Juni 1989. Solche Wendepunkte habe man öfter erlebt, etwa im Gefolge der Solidarność-Bewegung 1980, die entscheidend Revolution und Reform 1989 ermöglichte. Doch habe es auch danach ideologische und antikirchliche Einstellungen gegeben, die der Kirche ihre neue Freiheit streitig machten. 30 Jahre nach der Wende sehe man klar, wie – mit einer gewissen Verzögerung im Vergleich zum Westen – die Zahl der Kirchenbesucher und Messdiener, der Berufungen und Priesteramtskandidaten, aber auch der Ordensleute abnimmt, die Gemeinden zunehmen, die ein Priester zu betreuen hat, daher Kräfte für die 10.600 Pfarrgemeinden in Polen aus Afrika angeworben und Laien zur Mitarbeit ausgebildet werden. Auch vom sexuellen Missbrauch sei die Kirche in Polen betroffen und müsse dieses Problem aufarbeiten.

Text: Stefan P. Teppert, M. A.