Historisches Erbe lebt in der oberschlesischen Gastronomie
Mit Namensgebung und Bezügen zur lokalen Geschichte möchten Restaurants auf deutsche Vergangenheit der Region sensibilisieren.
Nur etwa 100 Meter vom Marktplatz der Großstadt Kattowitz (Katowice) befindet sich das 2014 eröffnete „Cafe Kattowitz“. Das elegante Bürgerhaus aus der Gründerzeit hat aber eine viel längere gastronomische Tradition.
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts beherbergte es ein Restaurant. Durch ein deutsches Schild an die deutsche Vergangenheit der Stadt zu erinnern, war nicht der Hauptgedanke der Lokalbesitzer. Denn vor allem wollten sie ein Restaurant schaffen – ja, „Cafe Kattowitz“ ist eigentlich ein Restaurant – das mit seiner Ausstattung und seinem Ambiente die Gäste in die Zeit der Belle Époque versetzt. Und da Kattowitz in der Belle Époque eine deutsche Stadt war, knüpft man mit dem Namen des Lokals an dieses Kapitel ihrer Geschichte an. Die Idee scheint aufgegangen zu sein. Das Restaurant wird gut besucht. Die sehr große Fläche – je 200 m2 im Erdgeschoss und im ersten Stock – garantiert, dass man nur selten keinen Tisch bekommt.
Ebenfalls eine sehr gute Lage kann der Pub mit dem zweisprachigen Namen „Pierwsza Polka – Die erste Polka“ in Gleiwitz (Gliwice) vorweisen. Die dortige ulica Zwycięstwa, die frühere Wilhelmstraße, ist ja die gute Stube der Stadt. Die Besitzer, unter ihnen ein gelernter Historiker, waren von Anfang an entschlossen, mit ihrem gastronomischen Projekt auch Regionalbildung zu betreiben und Geschichte mit Kulinarik zu verbinden. Die Gleiwitzer, die zu über 90 Prozent keine oberschlesischen Wurzeln hätten, wüssten kaum etwas über die deutsche Geschichte ihrer Stadt und ihrer Region, so die Erklärung.
Die Idee, den Titel eines Romans des 1930 in Gleiwitz geborenen Horst Bienek zum Namen des Lokals zu machen, kam aber spontan. Einer der Besitzer stellte fest, dass der Teil der ehemaligen Wilhelmstraße, den man von dem Pub sieht, ungefähr dem Umschlagbild der neuesten Ausgabe von „Die erste Polka“ entspreche. Das erwies sich als entscheidender Impuls für die Namensgebung.
Als eines der besten Restaurants von Myslowitz (Mysłowice) gilt „Dwór Bismarcka“ (deutsch: Bismarck-Hof), ein Lokal, das sich auf oberschlesische und polnische Küche spezialisiert. Im ersten Moment kann man sich fragen, was der Eiserne Kanzler mit dieser einst im äußersten Osten Preußens gelegenen oberschlesischen Stadt gemeinsam hätte, aber die Lage ist keineswegs zufällig. Denn das Restaurant ist nur 800 Meter Luftlinie von dem historischen Dreikaisereck entfernt, an dem vor dem Ersten Weltkrieg die Grenzen Deutschlands, Österreich-Ungarns und Russlands aufeinandertrafen. 1907 wurde in der Nähe des Dreikaiserecks ein Bismarckturm erbaut, mit dem die Attraktivität dieses ohnehin unter Besuchern aus nah und fern beliebten Ortes zusätzlich erhöht werden sollte.
Das Restaurant genießt unter den Myslowitzern einen guten Ruf. Weniger enthusiastisch wurde die Eröffnung des „Dwór Bismarcka“ auf der früheren russischen (oder anders gesagt: kongresspolnischen) Seite des historischen Dreikaiserecks aufgenommen. Von dort ließen sich nämlich Stimmen vernehmen, dass der Kanzler eine polenfeindliche Politik betrieben hätte und dass an ihn deshalb in dieser Form nicht erinnert werden solle.
Text: Dawid Smolorz