Oberschlesien und der Große Krieg

Als der Konflikt begann, der später als Erster Weltkrieg in die Weltgeschichte einging, war Oberschlesien eine Grenzregion

In Oberschlesien ruht der erste deutsche Gefallene des Krieges. 

Nach dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger in Sarajevo am 28. Juni 1914 überschlugen sich die Ereignisse. Auf die österreichisch-ungarische Kriegserklärung gegen Serbien reagierte Russland mit einer Mobilmachung. Diese führte dann zu einer ähnlichen Maßnahme auf deutscher Seite und kurze Zeit später zu einer Kriegserklärung an das Zarenreich am 1. August 1914. An darauffolgenden Tagen traten mehrere weitere Staaten, darunter auch Frankreich und Großbritannien, in den Krieg ein.

Deutsche Truppen in Russisch-Polen 1915. Quelle: IMS Vintage Photos, Wikimedia Commons.

Mit der deutschen Kriegserklärung an Russland wurde Oberschlesien zum Frontgebiet. Dass der Landstrich zum Kriegsgebiet werden würde, konnte in der frühen Phase nicht ausgeschlossen werden. Die Region hatte ja eine ca. 150 km lange Grenze zum Zarenreich (präzise gesagt: zum russischen Teilungsgebiet Polens), die sich von Pitschen (Byczyna) im Norden bis Myslowitz (Mysłowice) im Süden zog. Nicht nur wurden bald Tausende Männer aus dem Regierungsbezirk Oppeln eingezogen und als Soldaten der deutschen Armee an verschiedenen Fronten eingesetzt. Auch wurden von Oberschlesien aus Ziele im benachbarten Russisch-Polen angegriffen. Zwar fanden in der Region keine Kämpfe statt, doch bleib die Situation im Grenzland monatelang angespannt. Auch wenn sich die russischen Verbände bereits in den ersten Kriegstagen wegen Einkesselungsgefahr aus dem Dombrowaer Kohlerevier, dem Wieluner und dem Tschenstochauer Land zurückzogen, konnten sich die Einwohner Oberschlesiens keineswegs sicher fühlen. Denn infolge der russischen Gegenoffensive im Oktober war ein Vorstoß der zaristischen Armeen auf die Region noch bis Ende 1914 durchaus realistisch.

Meldungen über Besetzung der grenznahen Städte Russisch-Polens Tschenstochau (Częstochowa) und Bendzin (Będzin) durch deutsche Verbände. „Der oberschlesische Wanderer“ vom 4.08.1914. Quelle: Śląska Biblioteka Cyfrowa / Schlesische Digitalbibliothek (www.sbc.org).

Ein blutiger Stellungskrieg fand damals im Krakau-Tschenstochauer Jura statt, also buchstäblich vor den Toren Oberschlesiens. Erst nach der Schlacht bei Lodz (Łodź) und den Siegen der Mittelmächte in Galizien im Dezember 1914 wurden die Kämpfe in diesem felsigen Mittelgebirge mit dem Rückzug der russischen Verbände beendet. Innerhalb von drei Monaten fielen dort bzw. erlitten Verwundungen ca. 150.000 deutsche, österreichisch-ungarische und russische Soldaten. Ein Relikt dieser tragischen Zeit sind die Militärfriedhöfe, die es bis heute in mehreren Orten des Juras gibt. Auch auf oberschlesischen Friedhöfen findet man noch Gräber der Opfer des Ersten Weltkrieges.

Grab Paul Gruns im ehemaligen deutschen Grenzort Bodzanowitz. Foto. Dawid Smolorz.

In Oberschlesien ruht zudem der erste deutsche Gefallene in diesem Konflikt, Paul Grun. Der damals 21-jährige Soldat des Jäger-Regiments zu Pferde Nr. II wurde höchstwahrscheinlich während einer Patrouille im russischen (polnischen) Grenzort Starokrzepice von Kosaken überrascht und erschossen. Seine letzte Ruhestäte fand er im benachbarten, damals deutschen Ort Bodzanowitz (Bodzanowice), 15 km östlich der Kreisstadt Rosenberg (Olesno). Als nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre Ortsnamen mit slawischen Wurzeln massenweise umbenannt wurden, wurde Bodzanowitz in Anlehnung an die Ereignisse von 1914 offiziell zu Grunsruh. Das Grab des deutschen Soldaten überdauerte selbst die Jahrzehnte nach 1945, als viele deutsche Relikte in der Region zerstört wurden, und befindet sich heute im gepflegten Zustand.

Gräber deutscher, österreichischer und russischer Soldaten in Rosenberg. Foto. D. Smolorz.

Der Erste Weltkrieg endete bekanntlich mit dem Waffenstillstand von Compiègne am 11. November 1918. Doch in Oberschlesien kehrte noch lange keine Ruhe ein. Noch bis 1921/1922 dauerte der deutsch-polnische Kampf um die staatliche Zugehörigkeit der Region, der im Endeffekt zu deren Teilung führte.

Soldatenfriedhof aus dem Ersten Weltkrieg in Kotowice im Krakau-Tschenstochauer Jura. Quelle: Marcin Szala, Wikimedia Commons.

Text: Dawid Smolorz