Glogauer war der schnellste Mann der Welt

“Ein Läufer, der es mit dem richtigen Start und voller Konzentration mit jedem Sprinter der Welt aufnehmen kann”

Über den Sprinter Helmut Körnig, seinen (beinahe) Weltrekord und andere Erfolge.

Deutsche Meisterschaften 1926 in Leipzig. Helmut Körnig – ein Junge aus Glogau, jetzt allerdings in den Farben des SC Schlesien Breslau – steht am Start des 100-Meter-Endlaufs. In der Qualifikation erzielte er eine Zeit von 10,5 Sekunden. Sensationell! Denn der Weltrekord, aufgestellt von Charles Paddock im Jahr 1921, liegt bei 10,4 Sekunden.

Im Endlauf kommt Körnig perfekt aus dem Start, hat nach 80 Metern bereits 1,5 Meter Vorsprung auf den nächsten Konkurrenten und baut diesen am Ende noch um einen Meter aus. Ein entscheidender Sieg. Doch alle achten auf etwas anderes. Die drei Stoppuhren zeigen eine Zeit von 10,3 Sekunden an – das ist neuer Weltrekord!

Bürokratie bremst das Tempo

Oder besser gesagt: Das wäre ein Weltrekord gewesen. Elektronische Zeitmessung gab es damals noch nicht; mit der Ergebnismessung wurde manchmal experimentiert. Die deutsche Leichtathletikbehörde änderte daraufhin die Zählweise der Rekorde. Als Körnig sein sensationelles Ergebnis erzielte, wurde bei der Zeitmessung statt einer Zehntelsekunde eine Fünftelsekunde berücksichtigt, weshalb ihm ein Ergebnis von 10,4 Sekunden gutgeschrieben wurde. Diese skurrile Methode wurde zwar kurz darauf wieder abgeschafft, trotzdem wird Körnig bis heute mit dieser Zeit in den Leichtathletik-Ergebnistabellen geführt. Die Tatsache bleibt aber, dass er zu diesem Zeitpunkt der schnellste Mann der Welt war. Und das Ergebnis von 10,3 Sekunden wurde erst 1930 von Percy Williams erreicht.

Körnig wurde bei besagtem Wettkampf in Leipzig auch Deutscher Meister über 200 Meter und brach dabei den Landesrekord.

Helmut Körnig gewinnt im zweiten Halbfinale 200m Lauf, Amsterdam 1928.
Zu empfindlich für einen Sprinter

Helmut Körnig wurde 1905 in Glogau (heute Głogów) geboren. Als er anfing, bei lokalen Wettkämpfen mitzulaufen, wurde schnell klar, dass man einen so schnellen Mann hier noch nicht gesehen hatte. Er hatte auch eine blitzschnelle Karriere hingelegt. “Er ist ein Läufer, der mit dem richtigen Start und voller Konzentration mit jedem Sprinter der Welt mithalten kann” – behauptete ein Journalist der Breslauer Neuesten Nachrichten im Jahr 1926, als der Athlet gerade einmal 21 Jahre alt war.

Allerdings fehlte ihm eine Eigenschaft, die für einen Sprinter entscheidend ist. “Körnig, dieser fast zierliche, mittelgroße Breslauer Sprinter, ist ein Läufertyp, der überempfindlich ist. Jede Kleinigkeit kann ihn daran hindern, seine volle Kraft zu entwickeln. Gleichzeitig ist er ein herausragendes Sprinttalent” – schrieb der Journalist.

Drei Medaillen, keine goldene

Genau wegen dieser Nervosität verlor er bei den Olympischen Spielen 1928 in Amsterdam, wohin er bereits als Sportler eines Berliner Vereins gereist war, das Finale im 200-Meter-Lauf. Er hatte sich zu lange aufgewärmt und Probesprints für sich selbst angesetzt, anstatt sich zu beruhigen und zu entspannen, wie es die anderen Teilnehmer des Finales taten. Er hat verloren. Vielleicht ist das zu viel gesagt, denn er hat damals Bronze gewonnen, aber so wurde es damals beschrieben und so hat sich Körnig wahrscheinlich auch gefühlt. Immerhin war er ein sicherer Kandidat für Gold, nachdem er in der Qualifikation alle anderen deutlich geschlagen hatte.

Es mag überraschen, dass er damals nicht im 100-Meter-Lauf antrat. Bei den deutschen Meisterschaften von 1928, die eine Art Olympiaqualifikation darstellten, war er über diese Distanz jedoch gescheitert. Offenbar ging es auch darum, vor dem 200-Meter-Lauf, wo man ihm die besten Chancen auf Gold einräumte, keine Energie zu verschwenden.

Deutsches Sprintteam, Amsterdam 1928, Körnig rechts.

Körnig trat auch zweimal in der olympischen 4×100-Meter-Staffel an und gewann zwei Silbermedaillen. Die Deutschen hatten damals hervorragende Sprinter und ausgezeichnete Mannschaften, verloren aber zweimal gegen die Amerikaner. In Amsterdam um Haaresbreite, wegen eines technischen Fehlers. In Los Angeles 1932 waren die Amerikaner einfach unerreichbar schnell.

Helmut Körnig beendete seine Karriere 1934, nachdem er an Typhus erkrankt war. Er arbeitete später als Journalist beim Berliner Tageblatt und als Regieassistent bei der UFA. Nach dem Krieg zog er nach Westfalen. Ab 1953 war er Vorstandsmitglied der Westfalenhallen in Dortmund. Dort starb er im Jahre 1972. Die örtliche Leichtathletikhalle wurde nach ihm benannt.

Text: Sławomir Szymański
Fotos: wikimedia commons