„Ich bin in Breslau geboren, meine Heimat ist Wiesbaden und ich habe Freunde in Wrocław“
Über den Ideengeber der Städtepartnerschaft zwischen Breslau (Wrocław) und Wiesbaden
„Ich bin in Breslau geboren, meine Heimat ist Wiesbaden und ich habe Freunde in Wrocław“ – sagt Joachim (Achim) Exner, der ehemalige langjährige Oberbürgermeister der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden und der Ideengeber der Städtepartnerschaft zwischen Breslau (Wrocław) und Wiesbaden. Er war der erste Deutsche, der die Entscheidung traf, sich mit einer ehemals deutschen Stadt in Polen zu verbünden.

Breslau hat zwei Partnerstädte in Deutschland: Dresden in Sachsen und Wiesbaden in Hessen. Die erste Partnerschaft besteht seit 1959 und entstand unproblematisch – beide Städte gehörten damals zum Ostblock. Die zweite Partnerschaft brauchte viel Mühe und Diplomatie – es war die Zeit des Kalten Krieges und die Beziehung zu einer westdeutschen Stadt war in Polen mehr als unerwünscht. Wie kam es also dazu?
Vertreibung aus der Festung Breslau
Der Ideengeber der Städtepartnerschaft – Joachim (Achim) Exner – hat vor kurzem den 80. Geburtstag gefeiert. Er wurde am 1. Dezember 1944 in Breslau geboren. Im Alter von sechs Wochen musste er mit seiner Familie die Geburtsstadt verlassen. „Ich musste am 22. Januar 1945 mit meiner Mutter und Großmutter aus Breslau fliehen. Es war eine Vertreibung, aber Vertreibung durch Deutsche, weil die Stadt zur Festung erklärt wurde“ – sagt Achim Exner.
Sechzehn Stunden brauchte die Familie, um nach Görlitz zu kommen. Dann ging es etappenweise weiter. Im Juli 1945 kamen sie in die Nähe von Gießen. Die Familie wohnte in einer Försterei. Im Jahre 1950 ist die Familie nach Wiesbaden-Biebrich umgezogen. Joachim wollte Kaufmann werden, aber die Lehrer haben die Eltern überzeugt, dass der Junge begabt sei und aufs Gymnasium gehen solle. Er hat also das Abitur in Wiesbaden gemacht, dachte an einen Job als Lehrer, dann kam aber der Militärdienst. Danach studierte er Volkswirtschaft und Politik. Nach dem Examen wurde er Geschäftsführer des Wiesbadener Mieterschutzvereins, begann sich auch als SPD-Mitglied zu betätigen und wurde später der SPD-Fraktionsvorsitzende. In den Jahren 1985-1997 war er Oberbürgermeister der Stadt Wiesbaden.
Von der Idee zur Umsetzung
„Die Idee einer Partnerschaft mit Breslau entstand 1984. Mein Freund, Günter Schubert, der Studioleiter des ZDF in Warschau war, machte mich darauf aufmerksam: „Weshalb hat Wiesbaden keine Partnerstadt in Polen? Du bist doch in Breslau geboren. Du kannst doch den Polen sagen, dass Du kein Revanchist bist, der die alten Verhältnisse wiederherstellen will.“
Der Plan wurde 1987 umgesetzt. Aber einfach war es nicht. „Als die Polen gehört haben, dass ich einer von denen bin, die dort geboren wurden, waren sie sehr skeptisch“, berichtet Exner. Aber auch die deutsche Seite, u. a. die ehemaligen Schlesier musste man überzeugen. Die Partnerschaft mit einer ehemals deutschen Stadt bedeutete die Anerkennung der Realitäten, das heißt der Oder-Neiße-Grenze. „Die einen hatten Vorbehalte gegen das kapitalistische Ausland, die anderen fürchteten diplomatische Verwicklungen. Kein Wunder, dass der Fall bundesweit für Aufsehen sorgte“, schrieb die Journalistin Inge Toth in ihrem Artikel „Breslau/Wrocław – Das Wunder der offenen Grenzen“. Für alle war es klar, dass es keine Entscheidung war, die im Breslauer Rathaus getroffen wird, sondern im Politbüro und im deutschen Außenministerium.
Nachdem man sich zu diesem Schritt entschied, lud Günter Schubert eine polnische Delegation nach Bonn zu einem Essen mit Hans Jochen Vogel, damals Vorsitzendem der SPD-Bundestagsfraktion ein. Über den Wiesbadener Bundestagsabgeordneten Rudi Schmitt, der in Vogels Fraktion war, bekam Exner eine Einladung zu diesem deutsch-polnischen Essen und stellte den Versammelten seine Idee der Städtepartnerschaft vor. Er lud den polnischen Botschafter nach Wiesbaden ein und zeigte ihm die Stadt. Dann drückte auch der Wiesbadener Oberbürgermeister den Wunsch, nach Polen zu gehen. Der Weg nach Breslau führte über eine Deutsch-Polnische Kulturwoche. Die offizielle Wiesbadener Delegation (Vertreter der Stadt und der Künstler) fuhr nach Warschau, um die Vorbereitungen für die gemeinsame Woche zu planen. „An der Grenze in Görlitz wurden wir angehalten. Man wusste nicht, wie man mit den Gästen umgehen soll. Die Künstler sind ausgestiegen und haben jongliert. Die Volkspolizei war irritiert und uns über zwei Stunden gehalten. Einige aus der Gruppe sind heimlich nach Görlitz gegangen und haben sich die Stadt angeschaut. Sie kamen zurück und riefen zu mir „Das könnte auch unsere Partnerstadt sein. Sie ist so schön!“ Und dazu kam es auch wirklich“ – berichtet Exner, der seit 2000 Ehrenbürger der Stadt Görlitz ist.
Von Warschau ging es nach Breslau. „Ich kannte eigentlich Breslau nur aus Bildern und Erzählungen meiner Eltern. Als ich das erste Mal hier war, war ich überrascht, weil die Stadt während des Krieges zerstört, aber gut wiederaufgebaut wurde. Die Stadt sah so aus, wie ich sie von Bildern kannte“, berichtet Exner.

Geschichte und Vorurteile erschwerten die Annäherung
In Breslau hat sich Achim Exner mit dem damaligen Stadtpräsidenten Stefan Skąpski getroffen. Die ersten Momente waren nicht einfach. Exner wusste, dass Skąpski keine guten Assoziationen mit den Deutschen hatte. Während des Zweiten Weltkrieges wurde seine Familie (weil sie keine Volksliste unterschreiben wollte) aus ihrem Haus brutal vertrieben und des ganzen Gutes in Słupia bei Kępno (Großpolen) beraubt. Eine deutsche Familie wurde dort angesiedelt. Nach 1945 sind Skąpskis in ihr Haus zurückgekehrt: Stefan konnte erst mit 9 Jahren in die Schule gehen, aber an die Vorschulzeit konnte er sich sehr gut erinnern. „Wir haben einige Stunden beim Gespräch verbracht. Am Ende des Treffens waren wir uns einig: das ist der Weg, den wir gemeinsam gehen können“.

Der Konflikt um den Namen der polnischen Stadt
Der Vertrag, der von vielen Politikern (u. a. dem Bundespräsidenten Richard von Weizäcker) unterstützt wurde, wurde am 30. November 1987 in Wiesbaden unterschrieben. Er hieß „Rahmenvertrag über die Zusammenarbeit zwischen der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden in der Bundesrepublik Deutschland und der Stadt Wrocław (bis 1945 Breslau) in der Volksrepublik Polen“. Übrigens steht der Name „Wrocław (bis 1945 Breslau)“ nur im deutschen Titel des Vertrages. Im weiteren Inhalt steht Wiesbaden und Wrocław. Die Verwendung der ehemals deutschen und jetzt polnischen Stadt weckte die meisten Emotionen. Zu dem Inhalt des Vertrages, der von der polnischen Seite vorgeschlagen wurde, gab es keine großen Anmerkungen.

„Weder die Idee der Zusammenarbeit noch das Abkommen selbst wurden von den Oppositionsparteien aus CDU und FDP zumindest offen kritisiert. Sie wandten sich jedoch entschieden dagegen, dass in die Präambel des Abkommens ein Verweis auf die Bestimmungen des Vertrags zwischen Polen und Deutschland vom 7.12.1970 aufgenommen wurde. Sie waren auch der Ansicht, dass im deutschen Text des Vertrages der historische Name Breslau und nicht Wrocław verwendet werden sollte“ – erinnert sich der ehemalige Oberbürgermeister Stefan Skąpski.
Besonders die Schlesier wiesen Exner darauf hin, dass die Partnerschaft nur mit Breslau (nicht etwa mit einer Stadt unter dem polnischen Namen Wrocław) abgeschlossen werden könne. Die Opposition schlug vor, im deutschen Vertragstext den Namen Breslau mittels eines Schrägstrichs mit dem polnischen Namen Wrocław zu verbinden. Für Exner war es aber von Anfang an klar, dass man nur eine Partnerschaft mit Wrocław abschließen kann. Er fand es selbstverständlich, die polnische Stadt mit ihrem polnischen Namen zu benennen. Und dank seiner Konsequenz ist es zur Unterschreibung des Vertrages gekommen.
„Alles verlief sehr sympathisch, ohne irgendwelche Skandale. Bei den gegenseitigen Besuchen der Delegationen schmolz jegliches Eis. Keiner hat versucht, irgendwelche politische Inhalte zu vermitteln. Beide Seiten hatten sich bemüht und hatten ein Interesse darin, dass der Prozess musterhaft abläuft“ – erinnert sich Skapski.

„Eine positive Atmosphäre herrschte auch bei den Pressekonferenzen, bei denen eine Menge Fragen, oft sehr detailliert, vor allem an beide Oberbürgermeister gestellt wurden. Die Hauptlast, den Inhalt der Vereinbarung und alles, was die künftige Zusammenarbeit zwischen den Städten betrifft, öffentlich zu erläutern und zu interpretieren, fiel auf uns. Es gab allerdings auch einige freche Fragen, die die feindseligen Absichten des Fragestellers verrieten, aber diese gab es nicht viele. So fragte ein Reporter des Hessischen Fernsehens den Bürgermeister Exner, warum er der Aufnahme des polnischen Namens »Wrocław« in den deutschen Text zugestimmt habe. Der Bürgermeister antwortete: »Weil das der Name der Stadt ist«. Jemand fragte mich auf eine heikle und absichtliche Art und Weise, was die Vereinbarung eigentlich bezwecke. Ich antwortete in einem ähnlichen Ton: »Allem, was gut ist. Und vor allem der Überwindung von Vorurteilen und Traumata«. Ich fügte hinzu, dass ich bereits darüber hinweg sei, auch wenn ich als Kind die Folgen dieses Krieges, den wir nicht verursacht haben, schmerzlich erfahren habe. Nach diesen Worten war bei den meisten Anwesenden im Saal ein mitfühlendes Lächeln zu erkennen“ – erinnert sich Skąpski.
„Zu dem Zeitpunkt, wo wir offiziell in Wrocław den Vertrag unterschreiben sollten, schenkte ich meiner Mutter zum Geburtstag die Reise nach Breslau – das erste Mal nach 1945. Der Sohn des polnischen Stadtpräsidenten hat meine Mutter einen ganzen Tag lang durch die Stadt geführt. Das Wohngebäude stand nicht mehr, aber die Schule war da und die Klinik, in der ich geboren wurde. Es war ein besonderes Erlebnis für sie“, sagt Exner.
Achim Exner war auch später mehrmals in Breslau und nutzte immer die Gelegenheit, den damaligen Oberbürgermeister Skąpski zu besuchen. Vielleicht kommt es noch dazu, dass sich die beiden ehemaligen Oberbürgermeister 2027 beim 40. Jubiläum der Partnerschaft sehen werden.
Die Gründung der Partnerschaft zwischen Wiesbaden und Breslau legte den Grundstein zur Versöhnung und Annäherung der beiden Städte. Ein wichtiger Faktor der Partnerschaft ist bis heute die Kultur. Der künstlerische Austausch wird bis heute fortgesetzt. Darum kümmert sich der Deutsch-Polnische Verein Wiesbaden Wrocław e. V.
Text: Małgorzata Urlich-Kornacka
Bilder aus dem Archiv von Stefan Skąpski und Achim Exner