Eine verschwundene Synagoge

Interessante Geschichte einer oberschlesischen Synagoge

Wie ein katholischer Pastor ein Eigentümer der Synagoge wurde..

Ein katholischer Pfarrer ersteigert im Jahr 1908 eine verlassene Synagoge im oberschlesischen Czieschowa, die er fortan neben seiner eigenen Kirche verwaltet. Diese recht ungewöhnliche Geschichte ist gut dokumentiert, da besagter Pfarrer mit dem Namen Karl Urban diese bereits 1911 in einer kleinen Broschüre veröffentlichte.

Nicht minder interessant ist das Gebäude an sich, das mit keiner anderen Synagoge gleichen Alters in Deutschland verglichen werden kann. Lassen wir Pfarrer Urban doch selbst erzählen:

„Czieschowa, dessen Name von cieszyc, das heißt erfreuen, abzuleiten sein dürfte, wird bereits im Jahre 1300 angeführt. Es liegt elf Kilometer östlich von Lublinitz, abseits der Koschentiner Verkehrsstraße, und zählt zurzeit rund 500 ausschließlich katholische Einwohner. Die Gegend ist früher ein Waldgebiet gewesen, und das Dorf selbst, teilweise von Hügeln eingeschlossen, eine Oase darin, die das Auge des Wanderers „erfreut“ haben mag.

Auffälligerweise hat das Dorf Czieschowa von alters her außer einer katholischen Kirche auch noch eine Synagoge nebst einem Rabbinerhäuschen und einen jüdischen Begräbnisplatz. Die Kirche, eine Filiale von Sodow, steht östlich am Ausgange, die Synagoge westlich am Eingang des Dorfes; während aber der katholische Friedhof rings um die Kirche herum liegt, liegt der jüdische Begräbnisplatz einen Kilometer vom Dorfe entfernt im freien Felde. Die Kirche sowie die Synagoge sind große Holzgebäude und überragen alle anderen Gebäude des Ortes.“

Auch der Hamburger Rabbiner Dr. A. Loewenthal befasste sich bereits 1905 mit dem verlassenen Bau:

„Die Synagoge ist ein Schrotholzbau, gerade geschlossen, tonnengewölbt, der Aufgang zur Frauenempore ist mit offener Galerie. das Gebäude stammt aus dem 18. Jahrhundert. Diese Schrotholzsynagoge ist kein Markstein jener typischen polnischen Bauweise. Sie ist zu anspruchslos, ohne jeglichen Zierrat und ohne interessante Konstruktionsdetails erbaut, als daß sie einen kunsthistorischen Wert haben könnte. An der Westvorhalle der Synagoge ist ein Halseisen aus Schmiedeeisen angebracht, welches offenbar als Pranger gedient hat.

Der Friedhof ist weit älter als die Synagoge. Es finden sich zahlreiche wohlerhaltene Grabdenkmäler aus Holz, der älteste Grabstein datiert aus der Mitte des 17. Jahrhunderts.“

Der historisch stark interessierte katholische Pfarrer Karl Urban versuchte weitere Informationen zusammenzutragen:

„Diese Synagoge war das einzige gottesdienstliche Versammlungslokal der Juden aus dem östlichen Teile des Kreises Lublinitz und darüber hinaus und ist besonders für Oberschlesien eines der merkwürdigsten Synagogenbauwerke.

In Deutschland dürfte wohl dieser Bau, der in seinem Charakter ganz den Stil eines einfachen, nur weit höheren Bauernhauses zeigt, als jüdische Kultstätte einzig in seiner Art dastehen. Der ringsum laufende hohe Bretterzaun und das altdeutsche Eingangstor mit seiner Überdachung verstärken noch den Eindruck eines in etwas außergewöhnlichen Dimensionen ausgeführten Landgehöfts. Über das Alter der Synagoge ist nichts Positives zu ermitteln. Zweifellos ist sie aber viel älter, als die 1751 erbaute katholische Kirche des Ortes.

In früherer Zeit war das Rabbinerhaus zugleich eine Schule, in welcher die jüdischen Kinder des Ortes und der Umgegend ihren Unterricht erhielten. Der jüdische Friedhof liegt einen Kilometer entfernt im freien Felde.

Nach den Traditionen der Gegend kann er auf ein Alter von 600 Jahren zurückblicken und birgt Tote aus einem Umkreise von vielen Meilen. Man zählt heute circa 120 teils schon verwitterte Grabsteine mit hebräischen, oft schwer lesbaren Inschriften.

Seit dem Jahre 1904 hat nun die Synagoge von Czieschowa aufgehört, ein gottesdienstlicher Versammlungsort der Juden zu sein. Die jüdische Gemeinde Czieschowa, eine der ältesten Oberschlesiens und räumlich wohl die größte der Provinz, existiert jetzt nur noch dem Namen nach, da am Orte selbst kein Jude mehr wohnt.

Als im letzten Jahrzehnt die jüdische Gemeinde immer mehr zusammenschrumpfte und ein an die Juden der ganzen Welt erlassener Aufruf (Die letzten Tage einer Synagoge – israelitisches Familienblatt, Februar 1908) ohne Erfolg geblieben war, entschloss sich der Synagogenvorstand die Synagoge zu schließen, den Gottesdienst nach dem leichter erreichbaren Koschentin zu verlegen und bei der Königlichen Regierung in Oppeln den Verkauf der Synagoge und des Rabbinerhauses nebst Grund und Boden, jedoch mit Ausschluß des Friedhofes, zu beantragen. In dem am 21. Februar 1908 in Czieschowa anberaumten Versteigerungstermin erhielt der Verfasser bei 1250 Mark den Zuschlag.“

Ein „Andersgläubiger“ erwirbt eine Synagoge? Ungeheuerlich! Pfarrer Urban erfuhr trotz seiner Zusage das Gebäude in seinem Zustande zu erhalten, wenig Zuspruch aus jüdischen Kreisen. Das Einwerfen der Fensterscheiben durch die Dorfbewohner endete erst als Urban seinen Schäfchen von der Kanzel herab verkündete, dass er nun der Eigentümer der Synagoge sei. Diese wurde zusammen mit der katholischen Kirche noch im gleichen Jahr mit erheblichem Kostenaufwand renoviert. Die spartanische Einrichtung der Synagoge sollte vorerst bestehenbleiben. Gleichzeitig verhandelte Urban mit einigen Unterstützern, die im oberschlesischen Museum aufbewahrten Altertümer der beiden Synagogen Czieschowa und Zülz in die Obhut des Pfarrers zu geben.

Ob es jemals dazu kam ist nicht nachzuweisen. Urbans persönliches Engagement reichte nicht aus, um die Synagoge langfristig zu erhalten. Ob nun ein neuer Wirkungskreis oder gar Altersgründe Pfarrer Karl Urban zur Aufgabe brachten: Der Bau wurde noch vor dem ersten Weltkrieg abgetragen und vermutlich als Baumaterial wiederverwertet – die  Synagoge von Czieschowa gilt bis heute als verschollen.

Text: Marton Szigeti
Bildquelle: Museum in Gleiwitz