Der 75. Jahrestag der Oberschlesischen Tragödie fruchtet mit Initiativen
Ein Denkmal in Schwientochlowitz-Zgoda nach dem Projekt des Architekten Andrzej Grabowski ist eine davon.
Im Winter 1945 marschierten sowjetische Truppen in Oberschlesien ein. Die tragischen Umstände der Besetzung blieben jahrzehntelang ein Tabuthema. Erst nach dem gesellschaftspolitischen Systemumbruch der Jahre 1989/90 bestand die Möglichkeit, die für die bisherigen Machthaber prekären Tatsachen publik zu machen. Ein Teil der Gesellschaft erfuhr zum ersten Mal von den massenhaften Deportationen von Oberschlesiern in die Sowjetunion und dass manche der deutschen Konzentrationslager nach dem Krieg als polnische Lager weiterexistiert hatten.
So war es auch im Fall des in der Nähe der „Zgoda“-Betriebe gelegenen Lagers in Schwientochlowitz/ Świętochłowice. Zwischen Juni 1943 und der Auflösung des Lagers durch die Deutschen im Januar 1945 bestand hier ein Nebenlager des Konzentrationslagers Auschwitz. Die neuen Machthaber übernahmen die bestehende Infrastruktur im Februar 1945. Funktionäre des Sicherheitsamtes, der Miliz und des NKWD hielten hier ohne jegliche staatsanwaltschaftliche Sanktionierungen Personen deutscher Nationalität, Volksdeutsche sowie Personen fest, denen eine feindliche Einstellung gegenüber dem neuen System vorgeworfen wurde. Vielen der Insassen wurde zum Verhängnis, dass sie während des Krieges in die zweite Abteilung der Deutschen Volksliste eingruppiert worden waren. Außerdem fanden sich vor Ort Polen aus Zentralpolen sowie 38 Ausländer (Österreicher, Rumänen, Tschechien, Franzosen, Jugoslawen, Amerikaner, Niederländer und Belgier) wieder. Gemeinsam mit ihren Eltern wurden auch Kinder interniert. Eine Typhusepidemie, schwere Arbeit und körperliche Misshandlungen dezimierten die Zahl der Inhaftierten. Im Lager herrschten entsetzlicher Hunger und katastrophale Hygiene- und Lebensbedingungen vor. Aus den erhalten gebliebenen Dokumenten geht hervor, dass dort innerhalb weniger Monate über 1.850 Menschen ihr Leben ließen. Die Leichen wurden in Massengräbern auf zwei katholischen und einem evangelischen Friedhof verscharrt.
In Schwientochlowitz existieren mehrere Orte der Erinnerung an die Opfer des Lagers in Zgoda, aber die Hauptfeierlichkeiten finden seit Jahren am ehemaligen Lagertor statt. Hier wird der Opfer beider totalitärer Gewaltsysteme – des nationalsozialistischen und des kommunistischen – gedacht. An dieser Stelle befindet sich auch der Zielpunkt des 2009 ins Leben gerufenen „Marsches nach Zgoda“, der an die Oberschlesische Tragödie erinnert und bei dem die Teilnehmer in den Spuren der Häftlinge wandeln, die im Winter 1945 die zehn Kilometer lange Strecke von Kattowitz nach Schwientochlowitz bewältigen mussten.
Am 15. bzw. 23 Januar 2020 fassten Senat und Sejm der Republik Polen den Beschluss zum Gedenken an die Oberschlesische Tragödie. Die Stadtverwaltung von Schwientochlowitz/ Świętochłowice startete eine Initiative zur Begehung von Feierlichkeiten und zur Wiederaufnahme der Planungen zum Bau eines Denkmals, die 2004 aufgrund fehlender finanzieller Mittel zum Stillstand gekommen waren. Es bildete sich eine mehrere Dutzend Personen umfassende Initiativgruppe, die sich dem Vorhaben verschrieb. Neben der Übernahme der Ehrenpatenschaft durch Halina Bieda, Senatorin der Republik Polen, spielt vor allem der gegenwärtig in Deutschland lebende, ehemalige Häftling des Lagers, Gerhard Gruschka, eine besondere Rolle. Er mauerte im Jahr 1994 einen ersten Stein mit dem gekreuzigten Christus in den Stützpfeiler des Lagertores ein und rief eine Spendenaktion für die aktuelle Realisierung des Denkmalprojektes ins Leben. Gruschka nahm Kontakt zur Konsulin Birgit Fisel-Rösle auf und gewann ihre wohlwollende Unterstützung. Er wandte sich außerdem an Heiko Hendriks, den Beauftragten für die Belange von deutschen Heimatvertriebenen, Aussiedlern und Spätaussiedlern des Landes NRW, bei dem er ebenfalls auf Offenheit und Hilfsbereitschaft stieß. Überdies gelang es ihm, private Spender zu finden, die bereit waren, die Initiative zu unterstützen. Gerhard Gruschkas größter Wunsch wäre es, wenn das Denkmal zu einem Gedenkort sowohl für die jüdischen Opfer des Nebenlagers Auschwitz-Eintrachthütte als auch für diejenigen des kommunistischen Unrechtssystems und seines Arbeitslagers Zgoda würde.
Text: Izabela Wójcik-Kühnel
Übersetzung: David Skrabania