Noch vor dem Kriegsausbruch fanden in der Region drei Provokationen statt
Die fingierten Überfälle auf Objekte im Reichsgebiet wurden von der Kriegspropaganda gebraucht und ausgenutzt.
Im Sommer 1939 wurde in Berlin auf höchster Ebene beschlossen, im deutsch-polnischen Grenzraum mehrere fingierte Überfälle auf Objekte im Reichsgebiet durchzuführen. Sie sollten dann als polnische Grenzverletzungen dargestellt werden, um den deutschen Angriff auf Polen vor der internationalen Öffentlichkeit rechtfertigen zu können. In Oberschlesien wurden als Schauplätze der geplanten Aktionen die Industriestadt Gleiwitz/Gliwice, die Kleinstadt Pitschen/Byczyna im Norden der Region und das im damaligen Kreis Ratibor/Racibórz gelegene Stodoll/Stodoły ausgewählt.
In dem letztgenannten Ort kam es in der Nacht vom 31. August auf den 1. September 1939 zu einer inszenierten Schlacht zwischen zwei Gruppen von SS-Männern. Die Angehörigen der ersten Gruppe – als polnische Aufständische verkleidet – unternahmen einen vorgetäuschten Angriff auf das deutsche Zollhaus in Stodoll (1936–1945 offiziell Hochlinden). Die der zweiten – in Uniformen der deutschen Grenzpolizei – „spielten“ Verteidiger, die zum Rückzug gezwungen wurden. Bevor der „Kampf“ begann, hatten die fiktiven Aufständischen laut auf Polnisch antideutsche Parolen geschrien.
In Pitschen hatte die Aktion einen etwas anderen Verlauf. Dort wurde nämlich ein in direkter Nähe der polnischen Grenze gelegenes Forsthaus von vorgeblichen polnischen Freischärlern (auch hier waren es in Wirklichkeit SS-Männer) beschossen und anschließend kurzzeitig besetzt. Auf dem Weg zu ihrem Ziel unterhielten sie sich nicht nur laut auf Polnisch, sondern sollen sogar polnische Lieder gesungen haben. Verletzt wurde bei dem in Berlin geplanten „Angriff“ niemand, weil die Bewohner des Forsthauses das Gebäude zuvor verlassen mussten.
Die bekannteste aller Nazi-Provokation vom August 1939 fand in dem damals deutschen, aber nur wenige Kilometer von der Grenze entfernten Gleiwitz statt. Ihre Hintergründe sind relativ gut bekannt, weil der SS-Offizier Alfred Naujocks, der die Aktion leitete, im Rahmen der Nürnberger Prozesse im Jahr 1946 viele Einzelheiten hierzu geschildert hat. Die von ihm geführte, als polnische Aufständische verkleidete Gruppe drang am 31. August 1939 gegen 20.00 Uhr in den Sender Gleiwitz ein und terrorisierte die in der Anlage anwesenden Mitarbeiter. Die Aufgabe der Provokateure bestand darin, einen Appell auf Polnisch zu verlesen, damit an der polnischen Täterschaft kein Zweifel bestand. Doch erwies sich schnell, dass der Komplex an der Tarnowitzer Landstraße ausschließlich als Übertragungssender diente. Das Aufnahmestudio und die Mikrophone befanden sich in dem sogenannten Alten Sender, der 5 km entfernt lag. Den Angreifern gelang es mit höchster Mühe, über das Gewittermikrophon, eine Art Notsendeanlage, den Appell in polnischer Sprache zu verlesen, doch aus bis heute nicht geklärten Gründen (vielleicht wegen Sabotage eines Mitarbeiters) wurden nur die Anfangsorte „Achtung, hier spricht Gleiwitz, der Sender befindet sich in polnischer Hand“ in den Äther übertragen. Um die angebliche „polnische Spur“ noch eindeutiger zu machen, hinterließ die Gestapo vor dem Sender-Gebäude die Leiche eines tags zuvor festgenommen polnisch gesinnten deutschen Bürgers Franz Honiok, der symbolisch als erstes Opfer des Zweiten Weltkrieges gilt. Obwohl die Aktion de facto völlig misslungen war, informierte der Reichssender Berlin schon ca. zwei Stunden später über einen angeblichen polnischen Überfall auf den Rundfunksender Gleiwitz. Am frühen Morgen des 1. September begann mit dem deutschen Angriff auf Polen der Zweite Weltkrieg. 17 Tage später schloss sich die Sowjetunion als Hitlers Verbündeter der Aggression an.
Text: Dawid Smolorz