Der Verlust Schlesiens 1945 bedeutete auch das Ende der Kirchen in der bisherigen Form
Kirchenstrukturen und -gemeinden, ob katholisch oder evangelisch, gingen in den Nachkriegsmonaten in polnische Hände über.
Der 8. Mai 1945 war das Ende des Zweiten Weltkrieges, aber Frieden war noch nicht eingekehrt. Der Beschluss der Alliierten, Deutsche aus den nun dem polnischen Staat zugehörigen Gebieten wie Schlesien auszusiedeln, hatte auch unmittelbare Folgen für die christlichen Kirchen, die wie die Bevölkerung auf ein Verbleiben in Schlesien hofften. Wie die Menschen wurden die katholische Kirche und die evangelische Kirche der Altpreußischen Union in die Unsicherheit ihrer weiteren Existenz auf dem schlesischen Boden geworfen. Das unfriedliche erste Jahr nach dem Kriegsende war daher für beide Kirchen von größten und dramatischen Veränderungen geprägt und ihnen geht die Dissertation „Das christliche Schlesien 1945/46“ nach.
Angefangen bei den besonderen Vollmachten der polnischen Kardinals Augustyn Hlond bis zu den Gläubigen der vielen Gemeinden möchte das Buch ein Jahr beschreiben, in dem der Prozess der Änderung kirchlicher Strukturen und deutschen kirchlichen Lebens beider Konfessionen hin zu einer polnischen katholischen Kirche stattgefunden hat. Dabei erlebten die deutschen und polnischen katholischen Priester, die evangelischen Pfarrer, die Gläubigen beider Konfessionen und beider Nationen dieses Jahr sehr verscheiden, ganz abhängig davon, welche traumatischen Spuren der Krieg bei ihnen hinterlassen hatte, ob sie hatten fliehen müssen, ob sie mit Gewalt aus ihrer Heimat verdrängt wurden, wie lange ihre Gemeinde Bestand hatte und wie sehr ihnen der Glaube helfen konnte.
Obwohl die Zugehörigkeit Schlesiens zu Polen längst beschlossen war, bestand in der Bevölkerung dennoch eine große Unsicherheit bezüglich der Zukunft Schlesiens. Und diese Unsicherheit gepaart mit der Hoffnung auf ein deutsches Schlesien prägte auch das kirchliche Leben. Mitglieder des Domkapitels zweifelten an der Rechtmäßigkeit der Hlondschen Vollmachten, mit denen eine polnische katholische Kirche auf schlesischem Boden initiiert wurde.
So wurden auch die von Hlond berufenen Apostolischen Administratoren Bolesław Kominek und Karol Milik in ihrer Funktion von den Deutschen oft hinterfragt, während diese gleichzeitig am Aufbau und der Organisation einer polnischen Kirche arbeiteten. Ihr Wirken und ihre Bemühungen beschreibt das Buch, es widmet sich zudem breit den katholischen und evangelischen Gemeinden im Umbruch, beschreibt die Gestaltung des Gemeinde-lebens von deutschen Gläubigen und von deutschen und polnischen Gläubigen in einer Gemeinde sowie den oftmals schwierigen Übergabeprozess einer Gemeinde in polnische Hände. Während die katholischen Kirchen weiterhin katholisch blieben, wurden auch evangelische Kirchen zumeist von polnischen Katholiken in Gebrauch genommen, allerdings war dieser Prozess lange nicht geregelt und etablierte sich erst allmählich. Die katholischen Gemeinden hatten dagegen zumeist für eine gewisse Zeit einen deutschen und einen polnischen Seelsorger, die jeweils für die Gläubigen ihrer Nationalität zuständig waren. Dabei soll die Beschreibung einiger Gemeinden die Vielfältigkeit eines schwierigen Jahres zum Ausdruck bringen. Das Buch versucht, nachzuverfolgen, warum gelebter Glaube jenseits nationalem Denken selten, aber nicht unmöglich war, wie konfessionelle Grenzen in Ermangelung von evangelischen Pfarrern überschritten wurden und wie sich polnische Gemeinden zunächst im Provisorium einrichteten und einem polnischen Pfarrer dabei so große Bedeutung zukam.
Mit einem Dekret des polnischen Präsidenten im September 1946 wurden alle evangelischen Gemeinden der evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Polen angegliedert und damit das schon im Sommer 1945 angekündigte Ende der Kirchenprovinz Schlesien vollzogen. Jedes Bemühen der deutschen evangelischen Kirchenleitung um eine Weiterexistenz auf schlesischem Boden musste scheitern, denn deren Gläubige waren zum Verlassen der Heimat gezwungen.
In einem Jahr waren die entscheidenden Schritte hin zu einem polnischen und zu einem polnisch-katholischen Schlesien vollzogen. Was nüchtern in einem Satz zusammengefasst ist, bedeutete für die Betroffenen großes Leid. Und die Kirche als Volk Gottes war mitten drin, von gravierenden Umwälzungen betroffen, sehr oft vom Denken in nationalen Kategorien bestimmt, von menschlichen Gefühlen geschüttelt und daher unvollkommen.
Evelyne A. Adenauer: “Das christliche Schlesien 1945/46”, Band Nr. 22, 520 Seiten, 49,90 Euro, erschienen 2014 im LIT Verlag.
ISBN 978-3-643-11822-6
Link zum Buch beim LIT Verlag.
Text: Kulturreferat
Zur Autorin Dr. Evelyne A. Adenauer
Geboren 1978 in Groß Strehlitz (Oberschlesien), kam sie als Kind in die Bundesrepublik. Sie studierte in Köln und dank eines GFPS-Stipendiums ein Semester in Wrocław/Breslau Osteuropäische Geschichte, Mittlere/Neuere Geschichte und Philosophie, dazu später als Zusatzfächer Theologie und Italienisch. Dem Drang, möglichst viel zu lernen, konnte sie nicht mehr ganz nachgeben, und beendete die Zusatzfächer nicht, um sich ihrer Dissertation zu widmen.
Die erste wissenschaftliche Arbeit entstand in den Jahren 2003 bis 2005 über den Breslauer Priester Hermann Hoffmann im Rahmen des Kardinal-Bertram-Stipendiums. Einen Monat vor Geburt ihres zweiten Kindes legte sie 2010 ihre Disputation in Ost-europäischer Geschichte ab. 2014 erschien dann ihre Dissertation unter dem Titel „Das christliche Schlesien 1945/46“.
Heute beschäftigt sie sich weiterhin mit Schlesien des 20. Jahrhunderts, schreibt Aufsätze und hält Vorträge.